Kapitel 6
Lachfunken schweben und verflüchtigen sich zwischen den gedrängten Festivalgästen, während Corven nahe dem Hauptzelt steht, sein dunkles Haar vom Wind zerzaust, die Jacke für die Septembernacht viel zu formell. Seine Augen folgen jeder Bewegung von Lessa, die sich mit erhobenem Kinn und einem sorgfältig geübten Lächeln auf den Lippen durch die Menge schlängelt. Ihr weinroter Rock streift ihre Beine, doch ihr Blick ist abwesend – er weiß, dass sie nach ihm sucht, nach Bestätigung verlangt und jede Sekunde hasst, in der sie so tun müssen, als würden sie einander nicht bemerken. Ihre Hände streifen sich flüchtig an einem Verkostungsstand, die Berührung kurz, elektrisierend, und sie erschrickt, schaut schnell weg. Corvens Brust zieht sich schmerzhaft zusammen.
Er hebt den Blick gerade rechtzeitig, um Briq in der Ferne zu sehen: maßgeschneidertes schwarzes Hemd, hochgekrempelte Ärmel, der Kiefer so angespannt, dass er Glas zerbrechen könnte. Briq hält Hof bei einem Kreis von Juroren, doch seine ganze Aufmerksamkeit gilt Corven. Ihre Blicke treffen sich, eine stumme Herausforderung, die keiner aussprechen wird. Corven hebt eine Augenbraue, trotzig. Briqs Mund verzieht sich – halb Grinsen, halb Drohung. Er wendet sich zu einem Kellner und flüstert etwas, setzt seine neueste Sabotage in Gang.
Im Festivalinneren klingt Lessas Lachen hohl, zerbrechlich wie Glas. Sie lässt die Frau des Bürgermeisters weiterreden, ihre Haltung starr, die Schultern gerade. Als Applaus aus der Menge aufbrandet, gilt er Corven – er hat gerade eine Blindverkostung gewonnen, und alle Augen richten sich auf ihn, den goldenen Sohn. Briqs Hände umklammern sein Glas fester. Ein leises Zittern von Eifersucht durchfährt ihn, kalt und scharf. Er rückt in Lessas Nähe, während sie versucht, sich davonzuschleichen, die Stimme leise und giftig: „Pass auf deine Loyalitäten auf, Lessa. Blut kleckert mehr als Wein.“ Sie erstarrt, doch bevor sie antworten kann, nähert sich ein Kellner, das Tablett schräg gehalten – Rotwein ergießt sich über Corvens makelloses Hemd, ein „Unfall“ zu perfekt inszeniert. Briqs Augen funkeln vor Genugtuung.
Senne steht am Vorhang hinter der Bühne, die Arme vor einem marineblauen Kleid verschränkt, die Lippen vom Kauen zerknirscht. Sie beobachtet das Chaos mit einem schweren Seufzer, dreht sich dann um und stößt fast mit Briq am Zeltende zusammen. Für einen Moment sind sie allein. Sein Blick flackert, hart und suchend, doch sie unterbricht ihn, bevor er sprechen kann. „Was willst du?“ zischt sie. Er tritt näher, senkt die Stimme. „Du siehst müde aus, Senne. Oder vielleicht einfach nur gelangweilt.“ Ihr Lachen scharf. „Nicht gelangweilt. Auch nicht verzweifelt.“ Doch ihre Finger zittern am Saum ihres Kleides. Für einen Moment wird er weich, und sie hasst, dass es sie gerade deshalb zu ihm zieht.
Später, nach zu viel billigem Champagner, taumelt Senne in die Schatten des Weinbergs, die Schuhe abgestreift, das Haar wild zerzaust. Briq ist da, die Hände tief in den Taschen, die Augen spiegeln den Mond. Ihre Worte beginnen als Waffen, scharf und bitter. „Du darfst mir nicht folgen“, sagt sie, die Stimme nass vor unausgesprochenem Schmerz. Briq tritt vor, sorglos, verzweifelt. „Vielleicht kann ich dich einfach nicht gehen lassen. Vielleicht habe ich das nie gekonnt.“ Seine Brust hebt und senkt sich, die Atemzüge rau. Senne stößt ihn heftig weg, doch als er ihr Handgelenk packt, zieht sie nicht zurück. Für einen Herzschlag starren sie sich an – Gesichter nur Zentimeter entfernt, Wut und Verlangen verheddert im Raum dazwischen.
Sie küsst ihn zuerst – rau, drängt ihn zurück in die Reben. Seine Hände finden ihre Taille, dann ihr Gesicht, dann ihre Hüften, Münder krachen aufeinander, Zähne kratzen, Verlangen entwirrt alles außer der Berührung. Mondlicht taucht sie in Silber und Schatten, Körper eng aneinander gepresst, Hände ballen sich in Stoff, Atem stockt. Ihre Finger verfangen sich in seinem Haar, während er sie festhält, verzweifelt. Die Welt schrumpft auf Hitze, Reue und Haut zusammen. Danach stößt Senne ihn weg, die Augen gerötet, die Stimme zitternd. „Folge mir nie wieder.“ Sie verschwindet zwischen den Reihen, das Kleid fest umklammernd, lässt Briq zurück – bloßgestellt, atemlos, gequält.
Auf der anderen Seite des Feldes beobachtet Corven aus der Dunkelheit, der Geschmack von Verrat schwer auf der Zunge. Seine Fäuste ballen sich. Er sieht Lessa für die Menge hohl lachen, sieht, wie alles entgleitet, und in diesem Moment verwandelt sich seine Hoffnung in Entschlossenheit. Der Blick, den er Briq zuwirft, ist giftig. Briq, noch außer Atem, erwidert ihn – ein stiller Krieg erklärt.
Alle Geheimnisse liegen näher an der Oberfläche, als sie zugeben wollen, und die Nacht weigert sich zu enden.
Fortsetzung folgt...