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Kapitel 3

Sennes Morgen begann mit dem Dröhnen des Chaos – das Klemmbrett fest umklammert, der Wind spielte mit losen Strähnen aus ihrem schiefen Pferdeschwanz, der harte Kiefer verriet keine Nachsicht für Nachlässige, während sie sich durch die Festivalvorbereitungen schlängelte. Ihre ausgewaschenen schwarzen Jeans schmiegten sich an schlanke Hüften, die abgewetzten Knie erzählten von unzähligen Stunden auf den Beinen. Sie gab Befehle, die dunklen Augen scharf, doch immer wieder glitt ihr Blick zum Horizont, Sehnsucht, die an den Rändern ihrer verschlossenen Fassade kratzte.

Fast wäre sie mit Lessa zusammengestoßen, die mit vollen Armen Weingläser trug, die andere Frau errötete und schnappte nach Luft, karamellfarbene Locken fielen aus einem hastig geflochtenen Zopf. Lessa murmelte eine Entschuldigung, doch Senne hob nur eine Augenbraue. „Pass bloß auf Corvens kostbare Fässer auf – der dreht durch, wenn du auch nur ein Glas fallen lässt.“ Lessas Lippen verzogen sich zu einem dankbaren Schmunzeln, ein schüchternes Grübchen blitzte kurz auf. Für einen Moment wurde die Luft zwischen ihnen weich – ein stilles Einverständnis, als hätten beide den Druck hinter ihren Masken geschmeckt.

Senne wandte sich ab, bevor daraus Nähe werden konnte. Nähe war nichts mehr für sie; nicht seit Briq. Doch als Lessa ihr nachrief, die Stimme klein und verletzlich: „Wenn du mal Hilfe brauchst, sag einfach Bescheid“ – hallten die Worte nach, entrollten einen Faden Wärme in Sennes Brust, den sie sofort wieder verknotete.

Unterdessen schlich Briq, makellos wie immer in maßgeschneiderten marineblauen Hosen und einem starrem weißen Hemd, durch die Menge, die Augen halb geschlossen, gierig nach Schwäche suchend. Er beobachtete, wie Corven und Lessa sich über den Weinverkostungsplan amüsierten, Lessas Finger streiften Corvens Handgelenk. Briqs Kiefer spannte sich, die Lippen wurden dünn. Er schob die Hände in die Taschen, verbarg, wie seine Knöchel vor Anspannung weiß wurden.

Briq fand bald einen Grund, Senne hinter der Bühne in die Enge zu treiben, erwischte sie allein im unordentlichen Halbdunkel hinter dem Hauptzelt. Er versperrte ihr den Weg, zu nah, sein Parfum scharf und vertraut. Senne begegnete ihm mit einem Augenrollen, doch ihr Atem stockte. „Ich seh schon, du bist immer noch unerträglich“, schoss sie ihm entgegen, die Arme fest vor der Brust verschränkt. Briqs Lächeln war bissig, doch sein Blick senkte sich – verweilte auf der Kurve ihres Mundes, dem ersten Anflug von Röte auf ihren Wangen.

Eine Erinnerung krachte zwischen ihnen herein, heiß und ungestüm – der Lagerraum vor Jahren, Senne gegen kalte Kisten gepresst, Briqs Hemd halb hochgezogen, während ihre Hände seinen Rücken kratzten. Ihre Körper waren mit einer Dringlichkeit zusammengestoßen, die nach Trotz schmeckte: ihr Keuchen, sein Griff an ihren Hüften, das verzweifelte Verlangen, etwas zu fühlen statt nichts. Für einen Augenblick spürten sie es wieder – Bedürftigkeit, Reue, Groll, die in jedem schweren Atemzug brodelten.

Im Hier und Jetzt schwebte Briqs Hand nahe an Sennes Taille, doch sie stieß ihn weg – so heftig, dass er gegen ein Regal prallte. „Tu nicht so, als ob es dir was bedeutet“, spuckte sie, die Augen funkelten, Tränen brannten hinter der finsteren Miene. Briqs Maske riss; für einen Moment wirkte er verloren. Doch Stolz richtete ihn auf, er straffte die Manschetten. „Du redest, wenn du was brauchst“, murmelte er, die Stimme leise, verletzt.

Senne floh, stemmte sich gegen die Kälte, die sich in ihrem Herzen ausbreitete. Niemand durfte sehen, wie sehr er sie immer noch elektrisierte – wie jedes harte Wort ein stummer Hilferuf war, nach Verbindung, die sie sich nie erlauben durfte.

Später folgte sie Lessa in einen düsteren Gang nahe der Keller und erhaschte einen Blick durch eine halb geöffnete Tür: Corven, breit gebaut in einem Flanellhemd mit hochgekrempelten Ärmeln, hielt Lessa fest. Seine Hand strich über ihre Wange, wischte die Anspannung fort. Ihre Lippen öffneten sich, die Augen glänzten, als sie ihm einen verzweifelten Kuss auf den Mund drückte und sich in seinen Armen auflöste. Sennes Atem stockte, Eifersucht und Faszination kämpften in ihrer Brust.

Sie zog ihr Handy aus der Tasche und hob es, die Hände zitterten kaum merklich. Das Klicken des Auslösers – ein heimliches Foto verbotener Liebe, der Beweis, dass Macht sich mit einem einzigen Geheimnis verschieben konnte.

Fortsetzung folgt...

Samtige Fessel

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