Kapitel 5
Serris tritt aus ihrem Trailer, die Sonnenbrille schützt ihren Blick, der Kiefer sitzt mit geübter Gleichgültigkeit. Ihr Kleid – blutrot, aus Satin, mit hohem Schlitz – schmiegt sich an ihre Figur, zugleich kühn und abwehrend. Maeve, makellos in scharf geschnittenem Marineblau, stellt sich ihr mit einem zu grellen Lächeln in den Weg, die Hände flattern, um Serris’ Haare zu bändigen, unsichtbare Falten zu glätten, als würde sie sie Stich für Stich zusammenhalten. Serris’ Blick huscht zu Olin, der bereits neben dem Regiezelt wartet, in einem Anzug, scharf genug, um zu schneiden. Er lächelt mit voller Zähnepracht.
Lio beobachtet aus dem Schatten eines Grip-Trucks, die Arme verschränkt, Muskeln spannen sich unter einem abgetragenen schwarzen T-Shirt. Frische blaue Flecken – vom letzten Stunt, vielleicht auch von etwas Dunklerem – zeichnen seine Unterarme. Seine Augen springen zwischen Serris und Olin hin und her, der Kiefer zuckt. Er will zu ihr gehen, hält sich aber zurück, einen Schritt, eine ganze Geschichte entfernt.
Olins Stimme schneidet durch die Luft, Samt umhüllt Stahl. „Serris. Um des Studios willen gehst du auf den nächsten Galaabend mit Zian. Lächeln, seinen Arm nehmen. Verkaufe die Illusion – deine Karriere hängt davon ab.“ Zian lungert in der Nähe herum, jung und golden in Designerklamotten, die für die Stunde viel zu laut sind, seine Nerven hinter einer selbstbewussten Fassade versteckt. Er hebt sein Handy, schießt ein kalkuliertes Selfie mit Serris. Sie zuckt zusammen – ein kurzer Moment, schnell von einem Lächeln für die Kamera überdeckt.
Maeves Kiefer spannt sich an. „Sie ist keine Marionette, Olin.“ Ihre Worte sind leise, doch mit Gift gespickt. Olin wirft ihr kaum einen Blick zu, wischt den Einwand mit einer Handbewegung beiseite.
Serris’ Finger krallen sich an ihrer Seite. „Ist das eine Drohung?“ Ihre Stimme ist eiskalt, doch ihr Hals zuckt bei dem Schluck, den sie zu verbergen versucht. Lio spürt den Sog ihrer Wut – will die Distanz zwischen ihnen zerreißen – weiß aber, dass jede Bewegung eine neue Flamme entfachen könnte. Er dreht sich weg, Fäuste geballt, Kiefer fest.
Im Inneren des Sets folgt Ryven Lio und Zian, die Kamera baumelt an seinem Hals. Er schweigt, nur das Klicken des Auslösers ist zu hören – die einzige Sprache, der er vertraut. Sie biegen um eine Ecke, Zians Hand landet auf Lios bloßer Schulter, während sie sich necken, sich in Pose werfen. Der Blitz geht los; Ryvens Linse fängt sie nah ein, die Oberkörper halbnackt, in einem gespielten Ringen verstrickt. Zians Lachen klingt hell, doch Lios Augen – dunkel, wachsam – verraten eine Spannung unter der Oberfläche.
Ryven bleibt stehen. „Dieses Bild… die Leute werden reden.“ Seine Worte schweben zwischen Vorwurf und Einladung. Lio hält seinen Blick, der Atem knapp. „Lass sie.“ Für einen halben Moment fliegt etwas Sanftes zwischen ihnen – Bedauern, Anerkennung oder einfach nur Einsamkeit. Ryvens Lippen öffnen sich, wollen mehr sagen, doch der Moment zerbricht, als ein Geschrei den Flur hinunterhallt.
Corin stürmt aufs Set, in einem graphitgrauen Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, die Augen wild und gerötet. Er stellt sich Lio entgegen, die Stimme rau. „Fass sie nicht an, oder du bist erledigt. Ich hab dich gemacht, erinnerst du dich?“ Lios Mund verzieht sich. „Du hast nur dich selbst zum Monster gemacht.“ Die Worte treffen wie eine Ohrfeige. Corin stürmt vor, stößt Lio zurück. Adrenalin knistert – die Welt schrumpft auf keuchende Atemzüge, Fäuste, das Kratzen von Nägeln zusammen. Beide schwitzen, die Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt, Hass und etwas Ungesagtes brennen zwischen ihnen.
Serris kommt an, stellt sich dazwischen, die Handfläche auf Lios Brust. Ihre Berührung ist zugleich Flehen und Warnung – Lios Herz hämmert unter ihrer Hand. „Genug. Wollt ihr eine Show für die Klatschpresse?“ Ihre Stimme ist ein straff gespanntes Seil. Die Männer taumeln, ihre verletzten Egos pochen, doch keiner wagt es zu sprechen.
Maeve zieht Serris beiseite, drückt ihr ein Handy in die Hand. „Du musst das sehen.“ Auf dem Bildschirm: ein alter Chatverlauf, Vestas Name oben, Liebesgeständnisse und Verrat – Beweise für eine weitere Bruchstelle unter allem. Serris’ Atem stockt. Sie sieht zu Corin – Schuld tief in den Linien um seine Augen gezeichnet.
Später drängt Zian Serris an den Kostümständern in die Ecke, Verzweiflung flackert in seinem Lächeln. Er senkt die Stimme, die Augen glänzen. „Ich hab das Filmmaterial. Du und Lio – ganz nah. Willst du, dass das begraben bleibt? Dann mach, was Olin sagt. Sonst sind deine Geheimnisse überall.“ Serris erstarrt, kalter Schweiß läuft ihren Rücken hinab. Zum ersten Mal droht ihre Maske zu zerbrechen.
In der stillen Nachwirkung findet Ryven Lio hinter der Bühne, die Luft dick von Staub und Unruhe. Ryvens Augen glänzen – verletzlich, suchend. „Hast du manchmal das Gefühl, du siehst nur zu, wie dein Leben auseinanderfällt?“ Lio, verletzt und atemlos, nickt. Ihre Stirn berührt fast die seine, eine stille Waffenruhe, beide sehnen sich nach Trost, den keiner geben kann.
Woanders beobachtet Olin das Chaos, das er inszeniert hat – ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen, hungrig nach mehr.
Serris steht allein im Flur, den Rücken an die kalte Wand gepresst, das Handy fest umklammert, Zians Drohung hallt in ihren Ohren nach. Ihr Spiegelbild im Glas ist zerbrochen, unerkennbar. Die Welt, die sie gebaut hat, schwankt am Abgrund.
Fortsetzung folgt…