Kapitel 4
Serris’ Hände zittern, als sie anklopft. Das Licht im Flur spiegelt sich auf ihrem silbernen Kleid, das jetzt zerknittert ist und von verblasstem Make-up und den Erinnerungen an die schreienden Schlagzeilen des Abends gezeichnet. Als Lio die Wohnungstür öffnet – barfuß, die Haare noch wirr vom Krankenhaus, das T-Shirt klebt an der Wunde an seiner Schulter – droht ihr letzter Halt zu zerbrechen. Seine Augen, stürmisch und verschattet, gleiten über ihr Gesicht, und sie spürt, wie jede einzelne Wunde der letzten 24 Stunden in ihrer Brust aufblüht.
Er lehnt sich gegen den Türrahmen, versucht sein gewohntes Grinsen, doch es wackelt und fällt ab. „Du bist gekommen“, sagt er leise, als hätte er kaum zu hoffen gewagt. Sie nickt, die Arme um sich selbst geschlungen, kämpft verzweifelt darum, alles zusammenzuhalten. Die Worte bleiben stecken; zu viel ist da – Angst, Scham, die Last all der Menschen, die je versucht haben, sie zu besitzen.
„Bist du verletzt?“ fragt sie schließlich, die Stimme fast ruhig. Er winkt sie hinein, und sie tritt an ihm vorbei. Die Luft riecht schwach nach Antiseptikum und ihm – warm, ungestüm, lebendig. Im sanften Licht ist sein Kiefer blau, doch seine Augen sind sanft, verfolgen jede ihrer Bewegungen, als wäre sie etwas Kostbares.
„Mir geht’s gut“, sagt Lio, versucht tapfer zu wirken, doch sie durchschaut ihn sofort. Er lässt sich auf das Sofa fallen, die Beine ausgestreckt. Als sie sich neben ihn setzt, berühren sich ihre Knie; sie ist ganz klare Linien und Haltung – bis sie es nicht mehr ist, bis sie plötzlich zusammenbricht und ihr Gesicht in den Händen vergräbt.
Er zögert einen Moment, dann greift er nach ihr. Sie erschauert, als sein Daumen über den Handrücken streicht und sie erdet. „Du hast mich gerettet“, sagt sie, und ihre Stimme klingt fremd und roh. „Ich bin so müde, Lio. Vom Verstellen. Davon, dass alle bestimmen, wer ich bin.“
Für einen Moment rührt sich keiner von beiden. Er beugt sich vor, sein Atem warm an ihrer Wange, und die Distanz zwischen ihnen verschwindet. Seine Finger verfangen sich langsam und ehrfürchtig in ihrem Haar, und sie blickt auf – die Augen gerötet, gequält, aber trotzig.
Er küsst sie, zunächst zaghaft, die Lippen weich und entschuldigend, schmeckt ihre Tränen. Sie zittert, klammert sich an ihn. Ihre Hände gleiten unter sein Shirt, die Fingerspitzen erkunden die wütende Narbe, die sich quer über seine Rippen zieht – ein Geheimnis, das er nie erklärt hat, ein Stück Dunkelheit, vor dem sie nie Angst hatte. Er stöhnt leise, zieht sie dicht an sich, und der Kuss wird tiefer – dringlich, hungrig.
Kleider fallen, die Welt schrumpft auf Haut, Atem, die Hitze zwischen ihren Körpern. Serris setzt sich auf ihn, das Haar fällt wie ein Vorhang um sie herum. Sie führt seine Hände über ihre Oberschenkel, über die Gänsehaut, die auf ihrer Haut aufblüht. Er hält sie, als wäre sie zerbrechlich, doch das ist sie nicht – sie reitet die Welle ihres eigenen Verlangens, und etwas in ihr zerbricht, löst Jahre eingesperrten Schmerzes. Sie ruft seinen Namen, die Stimme brüchig, und er hält sie fester, gibt ihr Halt, während seine eigene Selbstbeherrschung zu zerfallen droht.
Danach liegen sie verheddert in schweißdurchtränkten Laken, atmen schwer, die Stirn aneinandergepresst. Ihr Mascara hinterlässt Spuren auf seiner Schulter, und sie lacht – ein wilder, unsicherer Klang – bevor die Tränen kommen. Er streichelt ihren Rücken, hält sie einfach, während sie auseinanderzubrechen droht, murmelt: „Es ist okay, es ist vorbei. Ich hab dich, Serris.“
Ein schmaler Lichtstrahl vom Fenster schneidet über das Bett, taucht ihre Körper in Schattierungen von Verletzlichkeit und Hoffnung.
Keiner von beiden bemerkt den Schatten im Flur – die schnelle Bewegung vor der Tür. Doch Zians Handy ist erhoben, die Kamera läuft. Sein Kiefer presst sich zusammen, während er ihre Intimität einfängt, Besessenheit und Schmerz in seinen Augen flackern. Er zieht sich zurück in die Dunkelheit, etwas Scharfes und Gefährliches kristallisiert sich in ihm, während er seinen nächsten Schritt plant.
Fortsetzung folgt...