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Kapitel 6

Lera sitzt zusammengesunken am Rand einer Samtbank, die Hände fest im Schoß verschränkt, die Fingerspitzen blass. Ihr maßgeschneiderter Blazer – cremefarbener Seidenstoff, scharf geschnitten an den Schultern – vermag nichts gegen die unsichtbare Last, die auf ihrer Brust lastet. Im gedämpften Murmeln der Weinbar windet sich ihr Name durch die Gespräche, jedes leise Lachen ein Stich. Ihr Handy vibriert unaufhörlich mit neuen Nachrichten, die Worte scharf, messerscharf: Wir wissen, was du getan hast. Sie schluckt schwer, die Augen huschen zum polierten Glas, fangen ihr eigenes zerbrochenes Spiegelbild ein.

Eine Tür schwingt auf, grelles Licht ergießt sich über den Boden. Rhysant tritt ein, der Anzug zerknittert, das Hemdkragen offen, das dunkle Haar zerzaust, als hätte er sich hundertmal durch die Finger gestrichen. Sein Kiefer ist angespannt, die Augen gerändert von schlafloser Wut. Die Zwangsvollstreckungsankündigung in seiner Hand – die Ecke zerknittert, die Tinte verschmiert – hängt wie ein Vorwurf. Er sieht sie nicht an, lässt sich schwer auf die Bank neben ihr fallen, der Körper schwer wie Trauer.

„Neuigkeiten verbreiten sich schnell“, sagt er mit rauer Stimme.

Leras Lippen zucken, ein brüchiges Fast-Lächeln. Sie will nicht, dass er sieht, wie sie zusammenbricht. „Nur wenn sie hässlich sind.“ Sie sieht ihn noch nicht an. Die Erinnerung an ihre zerstörte Affäre – gestohlene Momente mit einem verheirateten Klienten, jedes Geheimnis jetzt offenbart – kriecht in ihrer Brust, Übelkeit steigt auf.

Im Schweigen gleitet ihre Hand neben seine. Kaum berührend, dann verweilend. Seine Knöchel sind kalt unter ihrer Haut.

Sidelle läuft im Hinterhof hinter dem Café auf und ab, der rote Lederrock rutscht hoch, der rauchige Lidstrich verwischt an einem trotzigen Auge. Ihre Nachrichten bleiben unbeantwortet; die Gruppenchats haben sich gegen sie gewandt, jede Nachricht eine digitale Exkommunikation. Sie steckt das Handy in die Tasche, atmet den wütenden Abendhimmel ein, die Fingerspitzen zittern. Sie hatte geglaubt, Rache fühle sich wie Gerechtigkeit an. Jetzt wirft ihr Schatten lang und einsam.

Drinnen steht Ithran unter flackerndem Neonlicht, die Kamera baumelt an seinem Hals und klappert bei jedem Zittern seiner Hände. Das Hemd ist aus der Hose gezogen, die Jeans zerknittert, der Kiefer von Stoppeln geraut, er sieht weniger aus wie der furchtloseste Fotograf der Stadt, mehr wie ein Geist. Als er versucht, Lera anzurufen, ist ihre Mailbox voll. Er tippt, löscht, tippt erneut. Es tut mir leid. Löscht es. Lass mich rein. Löscht. Er will sagen Ich brauche dich, doch der Stolz erstickt die Worte in seiner Kehle.

Mit jedem Atemzug schmeckt seine Freiheit nach Asche.

Zurück in der Bar sieht Lera Rhysant an: nasse Augen, Lippen halb geöffnet in einem unausgesprochenen Entschuldigen. Ihr Schmerz strahlt zwischen ihnen, vertraut wie eine Narbe. Seine Stimme wird weich, zerbrochen: „Alles, was ich je wollte, war eine Chance.“ Sie will lachen, spucken, toben – doch sie greift nur nach ihm, die Finger verheddern sich in seinem Hemd. Er zieht sie nah, die Lippen krachen auf ihre, der Kuss wild, ohne Zärtlichkeit, schmeckt nach Salz und Scham.

Ihr Blazer fällt ab, seine Hände gierig, die Bewegungen hektisch. Sie ziehen sich gegenseitig aus bis auf Haut und Schmerz, klammern sich, als könnte Berührung allein die Verwüstung auslöschen. Sie lässt ihn ihr ungeschminktes Ich sehen – tränenverschmiert, zitternd, zerbrochen.

Ihre Körper verheddern sich in verzweifeltem Rhythmus, Atem mischt sich mit gebrochenen Stöhnen. Es ist keine Liebe, keine Vergebung – nur der Trost zweier zerstörter Seelen, die sich nah sind. Als sie sich schließlich löst, klafft die Leere noch weiter.

Sidelle – auf dem Bordstein, Mascara verlaufen, die Beine angezogen, die Stimme rau – sucht jemanden, irgendjemanden, der zuhört. Jede Nummer in ihrem Telefon blinkt mit Vorwurf. Sie versucht es bei Rhysant, einmal, zweimal. Keine Antwort. Sie wirft das Handy, lässt den Riss es spalten wie eine Warnung: Das hast du dir selbst eingebrockt.

Später steht Ithran auf dem Dach – das Hemd offen im beißenden Wind, die Kamera baumelt. Die Stadt breitet sich unter ihm aus, Lichter glitzern gleichgültig. Er hebt die Kamera, das Objektiv zittert, die Augen feucht. Einen langen Moment lang denkt er an diesen einen Schritt – vorwärts, ins Nichts, weg von all den Narben, Lügen und Sehnsüchten, denen er nicht entkommen konnte.

Er senkt die Kamera, der Kiefer hart. Eine letzte Nachricht leuchtet auf seinem Handy auf: Wenn du verschwinden willst, wird dich niemand aufhalten. Unterschriftlos.

Sein Finger schwebt über der Antwort.

Fortsetzung folgt…

Puls zwischen Wänden

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Puls zwischen Wänden: Fesselndes Urban Romance-Drama