Kapitel 5
Ein langsamer Duft von Parfum und Kerzenlicht zieht durch die Marmorgänge, und Selene steht am Rand des Maskenballs, ihr Herz ein wild trommelnder Schlag unter einer elfenbeinfarbenen Halbmaske, verziert mit goldenen Blättern. Ihr Kleid ist dämmerblau, Seide schmiegt sich an Kurven, die sie halb verbergen möchte, halb hofft, dass jemand – er – sie bemerkt. Ihre Hände zittern um ein geliehenes Kristallglas, während sie die Menge absucht. Lachen kräuselt sich; Satin und Samt wirbeln im flackernden Licht. Und dann sieht sie Jorell.
Er trägt einen schwarzen Anzug, streng und präzise, nur die silberne Maske mildert seine Kinnlinie. Sein Haar, wie immer unbändig, fällt in dunklen Wellen über die Stirn, doch seine Haltung ist alles andere als nachlässig – die Schultern angespannt, die Augen scharf, suchend. Ihre Blicke treffen sich. Sie erkennt ihn selbst hinter der Verkleidung, instinktiv zu ihm hingezogen, der Atem stockt, als er auf sie zukommt. Er bietet ihr seine behandschuhte Hand an, die Fingerspitzen zittern, als hätte er sich die ganze Nacht zurückgehalten.
Wortlos bewegen sie sich auf die Tanzfläche, Körper zueinander gezogen, ihre Finger gleiten in seine Handfläche. Jorells Stimme ist ein leises Flüstern an ihrem Ohr. „Du versteckst dich nicht so gut, wie du denkst.“ Sein Daumen streichelt über ihre Knöchel, ein Feuer breitet sich in ihr aus. Sie lehnt sich nur so weit vor, dass sie die Wärme seiner Brust an ihrer spürt, jeder Muskel gespannt vor Verlangen.
Mit jeder Drehung verschwindet die Welt um sie herum. Ihre Hüften streifen sich, verweilen. Sein Atem an ihrer Wange lässt sie erzittern, und ein Verlangen knotet sich tief in ihrem Bauch. Sie will alles gestehen – die Geheimnisse, die Schuld, wie er sie entwirrt – doch die Musik schwillt an, und der Zauber hält sie gefangen.
Ein neuer Partner tritt heran – Vyra, gekleidet in scharfes Smaragdgrün, ihre Maske funkelt mit winzigen Steinen. Ihr Haar ist zu einem glatten, strengen Knoten gedreht, die Lippen blutrot geschminkt. „Darf ich?“ Vyras Stimme ist samtig und giftig zugleich, ihr Lächeln zu breit, als sie sich zwischen Selene und Jorell schiebt und Selene für einen Walzer beansprucht. Jorell zögert, zieht sich zurück, der Kiefer hart, beobachtend. Vyras Griff ist fest, die Nägel kalt durch den Stoff von Selenes Handschuhen.
„Du spielst gefährliche Spiele, Selene.“ Vyras Worte sind ein Flüstern nur für sie, ihr Lächeln bleibt für alle anderen makellos. „Vergiss nicht, wer die Karten hält.“ Selene versucht sich zu lösen, doch Vyra wirbelt sie nah, ihr Arm schnürt Selenes Taille ein. Wut und Verlangen brennen in Vyras Augen. „Er wird dich brechen. Oder vielleicht hat er es schon.“
Selene beißt eine Antwort zurück, der Hals eng. „Wenn es dir so wichtig ist, warum verrätst du ihn dann?“ Vyras Lachen ist kaum hörbar – ein Klang, der mehr verletzt als grausam ist. „Du weißt nicht, was ich getan habe. Oder was ich tun werde, um zu behalten, was mir gehört.“ Ihr Tanz endet in einem Schwindelwirbel, Vyra stößt sie von sich, die Augen glänzen.
Selene flieht, das Herz rast, in den samtig-schattigen Flur. Sie findet Jorell, der an einer schweren Tür wartet, die Maske in den Händen, die Augen flehend und wild. „Komm mit mir“, murmelt er, die Stimme rau. Sie folgt ihm, der Puls rast, die steinernen Stufen hinab in einen geheimen Raum unter dem Haus, die Luft dick von Staub und Erinnerung.
Jorell zieht sie nah, die Hände an ihrer Taille, der Mund verzweifelt auf ihrem. Sie prallen gegen den alten Stein, ihr Rücken wölbt sich, um ihn zu empfangen. Seine Finger verfangen sich in ihrem Haar, der Atem keuchend und unregelmäßig. Sie klammert sich an seine Jacke, zieht ihn näher, jeder Kuss ein Geständnis, jedes Keuchen ein Versprechen. „Ich liebe dich“, bringt sie hervor, die Stimme bricht, „auch wenn ich zu spät bin.“
Er umfasst ihr Gesicht, die Augen leuchten vor Sehnsucht und Angst. „Du bist nicht zu spät. Noch nicht.“ Verlangen und Furcht lösen sich zwischen ihnen, die Körper eng aneinander gepresst, Hände gierig und zitternd – Kleidung gleitet, Haut berührt Haut, Hitze legt sich über gebrochenes Herz. Jeder Seufzer trägt Entschuldigung, jede Berührung ein Geständnis. Die Welt schrumpft auf den Raum zwischen ihren Mündern, das dringende Ziehen der Begierde.
Als sie zusammenbrechen, atemlos und entblößt, vergräbt Jorell sein Gesicht in ihrem Nacken. Sie hält ihn fest, Tränen mischen sich mit Schweiß, Angst, loszulassen – obwohl die Schuld an ihr nagt.
Eine Tür öffnet sich oben. Vyras Silhouette flutet die Treppe, ihr Gesicht bleich und hart. Sie wirft einen USB-Stick auf die Stufen, die Stimme kalt wie Porzellan. „Es ist vorbei. Deine Geheimnisse sind verkauft, Jorell. Und du“, spuckt sie auf Selene, „bist genau das geworden, wovor ich dich gewarnt habe.“
Das letzte Echo von Vyras Absätzen verklingt im Schatten, zurück bleiben Jorell und Selene, die sich festhalten, Hoffnung zerbricht in Angst.
Fortsetzung folgt...