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Kapitel 3

Jorells Finger zitterten, als er die filigrane Vase im Nischenbereich der Galerie zurechtrückte, der Kiefer angespannt, die Augen glasig vor scharfem Fokus, als kämpfe er um Kontrolle. Unter seinem makellosen Leinenhemd und der maßgeschneiderten Hose wirkte sein Körper gespannt, immer bereit, dass etwas zerbricht. Die Stille nach Geschäftsschluss nahm er kaum wahr, bis Selenes leises Lachen den Flur hinunterwehte, durchzogen von einer Traurigkeit, die ihm die Brust zusammenziehen ließ.

Selenes Haare fielen in lockeren, kupferdurchzogenen Wellen, ihr blassblauer Cardigan verschluckte ihre zierliche Gestalt, die Ärmel schützend über die Hände gezogen. Sie hielt ein zerlesenes Buch an die Brust, die Haltung zusammengesunken, als wolle sie die Einsamkeit durch das Verstecken in Geschichten abwehren. Sie hielt inne, als sie Jorell sah, zögerte im Türrahmen – ihre Augen, weit und suchend, huschten von der Vase zu ihm, als wolle sie alle Wege abwägen, wie sie ihn stören könnte. „Hab nicht erwartet, dass du so spät noch arbeitest“, murmelte sie und biss sich auf die Unterlippe.

Ein Lächeln huschte über Jorells Lippen, verschwand fast, bevor es richtig da war. „Kann ich von dir auch sagen.“ Er versuchte, lässig zu wirken, doch sein Blick verweilte auf dem feinen Zittern ihrer Hände, verriet das Verlangen, sie zu berühren, zu stützen. Für einen Moment wurde die Luft zwischen ihnen schwer von unausgesprochenen Dingen – Wünschen, zu gefährlich, um sie auszusprechen.

Schwere Schritte hallten den Flur entlang – Vyras Auftreten schnitt wie ein gezogener Dolch. Sie bewegte sich mit katzenhafter Eleganz, die Absätze klackerten scharf auf Marmor, ihr schwarzes Kleid schmiegte sich an scharfe Konturen und unruhige Bewegungen. Ihre dunklen Augen glitten über Selene, verweilten dann besitzergreifend auf Jorell. „Wir müssen die Sitzordnung für die Gala festlegen“, sagte Vyra kühl, die Lippen zu einem trotzig roten Strich geschminkt. „Oder hast du… andere Prioritäten?“

Jorell zuckte kaum merklich zusammen. Selenes Wangen glühten, die Arme verschränkten sich defensiv, als Vyra zwischen ihnen hindurchschritt, ihr Parfum scharf und dunkel. „Ich… ich geh dann in die Bibliothek“, stammelte Selene und wandte sich ab, doch Jorell berührte ihr Handgelenk – eine federleichte Berührung, die Strom durch ihren Arm jagte. Ihre Blicke trafen sich: seiner stürmisch vor Entschuldigung, ihrer weit vor Verlangen und Bedauern.

Später an diesem Abend herrschte im Anwesen geschäftiges Treiben, während das Personal die Tische im großen Saal arrangierte. Vyra, Klemmbrett in der Hand, manipulierte die Sitzordnung mit subtiler Giftigkeit, setzte Jorell neben Spender, die seine Unsicherheiten am ehesten reizen würden, und sorgte dafür, dass Selene zwischen den langweiligsten Gästen festsaß. Ihre Haltung war steif, der Kiefer angespannt, als sie beobachtete, wie Jorell sich zu Selene beugte, um Logistik zu besprechen, zu nah, die Stimmen leise und vertraut. Jede Berührung zwischen ihnen brannte Vyra wie Feuer, die Knöchel wurden weiß, als sie den Stift umklammerte.

Als Selene schließlich den Mut fand, Jorell im schattigen Flur hinter dem Ballsaal zu suchen, legte sie eine zitternde Hand auf seine Brust. „Ich muss dir etwas sagen“, flüsterte sie, die Stimme brüchig. Doch bevor sie es gestehen konnte, tauchte Vyra auf, die Augen wild glänzend. „Jorell, wir müssen reden. Jetzt.“ Sie wartete nicht auf Zustimmung, packte seinen Arm und zog ihn Richtung Büro, ihren Körper eng an seinen gepresst – besitzergreifend.

Im winzigen Büro, erleuchtet vom bernsteinfarbenen Schein einer einzelnen Lampe, zerbrach Vyras Maske. „Warum sie?“ spie sie, die Stimme roh, Schmerz durchdrang die Berechnung. Sie schlug die Tür zu mit einem Knall, trat in Jorells Nähe, griff nach seinem Hemd, der Atem keuchend. „Du könntest jede haben – mich. Du musst nicht allein sein.“

Jorell presste die Kiefer zusammen, die Hände ballten sich zu Fäusten an den Seiten. „Vyra, hör auf.“ Doch sie stürmte vor, die Lippen krachten auf seine – ein verzweifelter, schmerzlicher Kuss. Für einen Moment blieb er reglos, die Versuchung von Trost fast überwältigend. Dann zog er sich zurück, die Stimme zitternd. „Tu das nicht. Nicht so.“ Vyras Augen füllten sich mit Tränen; sie drehte sich weg, die Schultern bebten, und stürmte hinaus, die Tür schlug hohl hinter ihr zu.

Benommen fand Jorell Selene allein in der düsteren Galerie, ihr Cardigan von einer Schulter gerutscht, die Augen rot gerändert. Er ging zögernd zu ihr, zog sie dann in seine Arme. „Ich hatte Angst, mir irgendwas zu wünschen“, flüsterte er an ihre Schläfe. Sie atmete zitternd aus, gab ihre Geheimnisse preis, indem sie sich an ihn klammerte. Ihre Lippen trafen sich – sanft, dann dringend, die Welt zerbrach, als ihre Körper sich drängten, Hände tasteten nach Haut. Im Kokon der Dunkelheit zogen sie einander langsam aus, teilten geflüsterte Ängste und Geständnisse zwischen keuchenden Küssen und zitternden Berührungen. Als sie schließlich eins wurden, war es roh und ungeschützt – eine verzweifelte, wunderschöne Kollision aus Verlangen und Hoffnung, Wunden offenbart und mit zitterndem Versprechen erwidert.

Danach zeichnete Selene sanfte Kreise auf Jorells Brust, die Augen leuchtend. „Du musst nicht perfekt für mich sein.“ Doch Jorells Schuldgefühl zog sich in seinem Magen zusammen, die Grenze des Glücks durchzogen von Angst – entdeckt zu werden, nicht genug zu sein.

Den Flur hinunter klackerten Vyras Absätze, als sie einen vergessenen Abstellraum betrat. Die Hände zitterten, als sie über eine vergoldete Schachtel strich, versteckt hinter Stapeln alter Akten. Sie öffnete sie, das Herz pochte, enthüllte ein Porzellan-Erbstück mit dem Linvale-Wappen – ein Geheimnis, das alles zu zerreißen drohte.

Ein triumphierendes und zugleich ängstliches Lächeln umspielte ihre Lippen.

Fortsetzung folgt...

Porzellanadern

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