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Kapitel 4

Roens Ankunft versetzt die ganze Etage in Alarmbereitschaft. Er bewegt sich mit der Energie einer gespannten Feder, die Ärmel seines makellosen Hemdes hochgekrempelt, sodass die Unterarme mit alten Narben sichtbar werden. Seine Augen – unblinzelnd, wachsam – fixieren Tavian wie ein Scheinwerfer. Tavian zappelt nervös hinter seiner randlosen Brille, zupft an den Ärmeln seines viel zu großen Blazers und versucht verzweifelt, in der summenden Maschinerie des Büros unterzutauchen. Doch jedes Mal, wenn Roen vorbeigeht, hämmert Tavians Herz lauter: Misstrauen ist ein Duft, und er trägt ihn wie ein Parfum.

Viessa huscht zwischen den Schreibtischen hindurch, ein Farbklecks in einer Safranbluse und einem hoch taillierten Indigo-Rock, beladen mit Klatsch, der schwerer wiegt als jede Akte, die sie angeblich zustellt. Ihr Lachen ist süß, aber mit Gift gespickt, als sie sich an Tavians Bildschirm lehnt, die Unterlippe glänzend. „Du und Aelira, hm? Da steckt bestimmt was Skandalöses dahinter, das sieht man dir an.“ Ihr Necken brennt, doch Lyska fängt die Worte auf – ihre Augen, geschärft von Eifersucht, verweilen einen Moment zu lang. Tavian stammelt eine Abfuhr, die Wangen glühen, doch Lyska schreitet schon davon, ihre Absätze klacken wie eine Warnung.

Lyskas Schultern sind angespannt unter der purpurnen Seidenbluse, das Haar streng zu einem Knoten gebunden. In ihrer Mittagspause schreibt sie Aelira: „Lass uns was trinken gehen. Ich wette, du traust dich nicht, mich auszufragen.“ Die Antwort ist knapp: „Okay. Du bist dran.“ Sie weiß nicht, wovor sie mehr Angst hat – bloßgestellt zu werden oder gesehen.

In jener Nacht finden sie sich in einer dunklen Ecke einer Bar über der Stadt. Aelira – groß, eisig in einem schieferfarbenen Anzug – mustert Lyska mit der Ruhe einer Jägerin. „Du bist leichtsinnig“, sagt sie, während sie ihr Glas dreht, die Stimme ein leises Challenge. Lyska hebt eine Augenbraue, die Lippen glänzend und wissend. „Und du bist besessen von Kontrolle.“ Ihre Worte verheddern sich, ehrlich bis zur Grausamkeit, alte Wunden und ehrgeizige Träume krachen in jedem Satz zusammen.

Aelira beugt sich vor, Schatten gleiten über ihre scharfen Wangenknochen. „Willst du wirklich dieses Spiel spielen?“ fragt sie, herausfordernd, aber nicht unfreundlich. Lyskas Lachen ist atemlos, ihre Rüstung bröckelt. „Vielleicht ist es kein Spiel.“ Die Luft zwischen ihnen pulsiert, schwer von Verlangen und Groll. In einem plötzlichen, waghalsigen Moment ergreift Lyska Aeliras Handgelenk, die Berührung elektrisiert. Ihre Lippen treffen sich, zuerst zögernd, dann wild suchend – Hände finden Taille, Kiefer, verheddertes Haar. Lyska schmeckt Salz, Bourbon, etwas gefährlich Rohes.

Aeliras Stimme bricht, als sie sich zurückzieht, die Augen glasig vor Angst und Verlangen. „Du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin“, flüstert sie. Lyska zittert, kann nichts erwidern. Sie flieht, bevor die Nacht sie ganz verschlingen kann.

Unterdessen starrt Roen auf die Überwachungsbilder, der Kiefer angespannt, Schweißperlen auf der Stirn. Im blauen Licht des Bildschirms flackern die Szenen: Tavian und Lyska, eingesperrt im Serverraum, verschlungen und verletzlich. Roen atmet langsam aus, die Erkenntnis zeichnet sich in seinen Zügen ab. Er steckt den USB-Stick in die Jackentasche, der Blick wandert zu den Büros hinter den Glaswänden, wo Lyska und Tavian arbeiten – noch ahnungslos, noch entblößt.

Unten wartet Dersh, Krawatte gelockert, mit einem Fuchslächeln auf den Lippen, während er die Sicherheitsbilder beobachtet. Als Roen näherkommt, knistert die unausgesprochene Drohung zwischen ihnen. „Das willst du dir ansehen“, murmelt Roen. Die Beweise wechseln den Besitzer. Das Spiel kippt.

Fortsetzung folgt...

Impulse: Unter dem Glas

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