Kapitel 6
Cyran stand am Fenster, seine schmale Gestalt versank in einem dunkelblauen Pullover, die Ärmel nervös bis über die Handgelenke gezogen. Draußen war der Morgen wie eingefroren – regennasses Glas, die Farben der Stadt zu einem grauen Schleier verwischt. Sein Kiefer war angespannt, die Haut blass unter dem Stoppelbart, und seine Augen, immer suchend, wanderten weg, als Rhions Spiegelbild hinter ihm auftauchte.
Rhion bewegte sich wie eine Klinge – steif, gezielt, ihr Lippenstift ein makelloser Schnitt in scharlachrot. Sie trug eine makellose schwarze Bluse, der Kragen scharf wie ihr Blick, und die Hände hielt sie vor der Taille gefaltet, als würde sie sich selbst zusammenhalten. „Noch ein Kunde ist abgesprungen“, sagte sie mit flacher Stimme, die Augen zu hell. „Und ich nehme an, du hast die Gerüchte über Sabotage gehört?“
Er nickte, eine Hand strich über die Fensterbank, die Lippen leicht geöffnet, als wollte er sprechen, schloss sie dann wieder. Zwischen ihnen hingen Fragen – scharf, unausgesprochen. Cyrans Herz stolperte, als Rhion nähertrat, die Stimme senkte sich. „Ich weiß, was du verheimlichst, Cyran. Aber ich bin nicht die Einzige mit Geheimnissen.“
Ihre Worte jagten ihm einen Schauer über den Rücken, doch bevor er antworten konnte, brach im Büro Tumult aus – eine zugeschlagene Tür, harte Stimmen. Vessa stürmte vorbei, schwarze Mascara verlaufen, Haare wild, Jeans vom Regen durchnässt und klebend. Sie warf ihnen kaum einen Blick zu, doch Cyran spürte das Zittern in ihren Schultern, die Trotz in ihrem Schritt. Er wollte ihr fast nachrufen, doch stoppte, Scham legte sich schwer auf seine Zunge.
Gaven lehnte an der Kaffeemaschine, die Arme verschränkt, sein Grafikshirt spannte sich, der Kiefer zuckte vor unterdrückter Wut. „Schöner Morgen für einen Zusammenbruch“, murmelte er zu Kas, die still am Rand standen, Notizbuch an die Brust gepresst, die Augen wachsam und neugierig. Kas’ Cordjacke und sanfte Haltung bildeten einen weichen Kontrast – eine fast unsichtbare Präsenz, die immer beobachtete.
Cyran ging den Flur entlang, das Herz hämmerte. Er fand Vessa im Vorratsraum, atmete schnell, das Neonlicht ließ ihre Haut durchsichtig wirken. Ihre Finger zitterten, während sie ihre Haare richtete. „Ich treffe ihn. Heute Nacht. Ich kann nicht mehr weglaufen.“
Er griff nach ihr – zögerte, strich dann eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Geh nicht allein“, flüsterte er, die Stimme rau. Ihre Augen blitzten, ängstlich und doch mutig. „Ich will dich nicht länger in mein Chaos ziehen. Ich muss das selbst regeln.“
Später, auf dem dunklen Parkplatz, waren Vessas Nerven wie Drahtseile gespannt. Die Silhouette des Erpressers zeichnete sich am Rand der Dunkelheit ab – doch Kas trat zuerst aus den Schatten, die Stimme leise und bestimmt. „Du musst das nicht allein durchstehen.“ Sie legten eine zitternde Hand auf Vessas Schulter. „Lass mich helfen.“ Vessa, verloren und verzweifelt, nickte, ihr Trotz wich der Erschöpfung.
Drinnen stellte Cyran Rhion in ihrem kargen Glaskabuff zur Rede. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch, kerzengerade, tippte mit blitzschnellen Fingern. Er schlug mit den Händen gegen das Glas, die Augen wild und flehend. „Warum hast du es getan? Die Daten manipuliert, die Arbeit sabotiert?“
Sie sah auf, ohne zu blinzeln. „Weil, wenn ich die Geschichte nicht kontrolliere, es jemand anderes tut. Glaubst du, du bist der Einzige mit Narben?“ Für einen Moment rutschte ihre Maske – ein Hauch von Verletzlichkeit blitzte auf, dann war sie wieder weg. „Wenn du mich entlarven willst, dann tu es. Mir sind die Konsequenzen längst egal.“
Das Büro summte vor Gerüchten, die Spannung wuchs, als Gaven Cyran am Treppenhaus einkreiste, ein böses Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich hoffe, du hast Notizen gemacht, Poet“, flüsterte er scharf. „Denn ich habe eine Akte mit deinem Namen, Rhions und Vessas. Wenn dieser Laden untergeht, steh ich als Letzter da.“
Um Mitternacht brannten die Lichter in der Agentur kalt. Vessa, nach der Konfrontation zerschlagen, lehnte sich an Kas’ stille Unterstützung, ihr Atem stockte. Cyran, allein in seiner leeren Wohnung, starrte auf eine weitere Nachricht von der unbekannten Nummer – diesmal mit Fotoanhang. Es zeigte ihn auf dem Dach mit Vessa, Gesichter offen, Körper eng aneinander gepresst im Regen. Die Bildunterschrift lautete: Das ist erst der Anfang.
Irgendwo in der Dunkelheit blätterte Gaven durch Screenshots und Beweise, ein zufriedenes Funkeln in den Augen. Rhions Fäuste ballten sich auf ihrem makellosen Schreibtisch, sie atmete die Konsequenzen ein, die sie nicht mehr kontrollieren konnte.
Alles hatte sich verändert, und die Abrechnung hatte gerade erst begonnen.
Fortsetzung folgt...