Kapitel 5
Cyrans Hände zitterten, als er nach seinem Kaffee greifen wollte, also steckte er sie stattdessen in die Taschen seiner schwarzen Jeans. Das grelle Bürolicht ließ jede müde Falte in seinem Gesicht tiefer wirken, seine Augen waren von Schatten umrandet und rot gerändert. Er versuchte, nicht zu Vessa auf der anderen Seite des Raums zu sehen, doch ihre Präsenz summte am Rand seines Blickfelds – ein Blitz von knallrotem Lippenstift, das Glitzern einer silbernen Kette an ihrem Hals, ihre dunklen Locken halb gezähmt durch eine lässige Drehung. Sie trug eine taillierte Seidenbluse, vintage und an den Handgelenken locker fallend, und ihr Rock schmiegte sich an ihre Hüften. Sie sah aus wie eine Vision, geboren aus Hunger und Reue.
Rhions Stimme schnitt durch die Luft, als sie hereinkam, eiskalt und präzise: „Cyran, das Briefing, das ich dir letzte Nacht geschickt habe? Ich brauche deine Überarbeitungen bis Mittag.“ Sie trug einen maßgeschneiderten Blazer, ihr Haar streng zu einem Knoten gebunden, jede Faser ihrer Haltung forderte Kontrolle ein. Ihr Blick verweilte eine Sekunde zu lang auf Vessa – kalkulierend, gierig, als würde sie abwägen, was Vessa hatte, das sie selbst nicht berühren konnte.
Der Tag schleppte sich weiter in einem Nebel aus Blicken und knappen Worten. Rhion fand Cyran allein in der Kopierstation, ihre Absätze lautlos auf dem billigen Fliesenboden. „Du siehst müde aus“, murmelte sie leise. Sie beugte sich vor, ihr Parfum scharf, aufdringlich, und Cyran zuckte zusammen, blieb aber reglos. Sein Kiefer spannte sich, als sie mit den Fingern über die Ader an seinem Handgelenk strich, sein Puls flatterte. „Du bist nicht der Einzige, der zu viel trägt“, flüsterte sie, ihre Worte glitten durch Schichten geübter Distanz.
Er hätte sich zurückziehen sollen. Stattdessen ließ er ihre Hand verweilen. Er sehnte sich nach Vergessen – danach, von jemandem begehrt zu werden, von irgendjemandem. Rhions Augen waren voller Herausforderung, als sie ihn in ihr Büro führte, die Glaswände draußen dunkel vom nächtlichen Stadtlicht. Sie drückte ihn gegen die Tür, ihr Mund suchend, fordernd. Ihr Kuss war ein Messer, hektisch und hungrig. Ihr Blazer glitt von den Schultern, seine Hände tasteten verzweifelt nach etwas Echtem. Ihre Körper verhedderten sich ungeschickt – ihr Atem keuchend, sein Mund fand ihr Schlüsselbein, jede Berührung rau vor Selbstverachtung. Es war chaotisch, schnell, halb bekleidet; sie biss einen Schrei an seiner Schulter nieder, und er klammerte sich an sie wie an einen Rettungsanker, ohne einander anzusehen, als es vorbei war.
Er verließ ihr Büro mit halb zugeknöpftem Hemd, Scham stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der Flur draußen war leer, bis auf Gaven, der mit verschränkten Armen und einem spöttischen Grinsen dastand. Gavens Augen funkelten gemein vor privater Genugtuung, doch er sagte nichts, als Cyran vorbeiging, das Herz ihm bis zum Hals schlagend.
Momente später, im Kunstraum, stand Vessa ihrer eigenen Zerstörung gegenüber. Sie war ein Bild des Zerbrechens – blutlose Lippen gepresst, verschmierter Eyeliner, ihre Augen leer. Sie trug übergroße Kopfhörer, doch es spielte keine Musik. Gaven trat leise ein, Besorgnis legte sich in seine Stirn. Er setzte sich neben sie und streckte die Hand aus, doch sie riss sich los, ihre Stimme brach: „Nicht du. Nicht jetzt.“ Ihr Trotz verbarg kaum den Schmerz, der durch sie bebte.
Sie stürmte aus dem Raum, ihre Absätze hallten nach. Gaven sah ihr nach, sein Gesicht verzog sich – Groll, Sehnsucht, Niederlage. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, die Haut riss auf, doch die Geste linderte nichts von den inneren Wunden.
Später flackerten die Lichter in der Agentur – Cyran suchte verzweifelt jeden Flur ab, panisch, auf der Jagd nach Vessa. Sein Geist war ein Wirrwarr aus Schuld und Verlangen, Bilder von Rhions Händen und Vessas Lächeln prallten schmerzhaft aufeinander. Doch Vessa war nirgends zu finden, ihr Schreibtisch leer, ihre Kamera zurückgelassen. Das Gebäude fühlte sich plötzlich hohl an.
Er checkte sein Handy – eine Nachricht, nur eine Nummer: Vessas Kontakt. Sein Atem stockte, als er sie öffnete: Glaubst du, du kannst hier Geheimnisse bewahren? Du hast sie schon verraten. Und ich bin näher, als du denkst.
Cyrans Brust zog sich panisch und beschämt zusammen. Er rief sie an, doch sie ging nicht ran. Panik schlug um in blanke Angst, als ihm klar wurde, dass Vessa weg war, unerreichbar, ihr Schmerz seine Schuld.
Hoch oben leuchtete ein Fenster im Dunkeln – Rhion blickte mit zitternden Händen auf die Stadt, ihr Spiegelbild zersplittert im Glas. Sie berührte ihre Lippen, als suchte sie nach der Weichheit, die sie gestohlen hatte, plötzlich unsicher, ob sie gewonnen oder verloren hatte.
Im Agentur-Chat erschien eine neue Nachricht: Wenn du deine Geheimnisse behalten willst, triff mich bei Sonnenaufgang auf dem Dach. Sonst erfährt jeder alles.
Fortsetzung folgt...