Kapitel 7
Calder steht im schmalen Schatten vor dem Büro der Sporthalle, sein Hemd zerknittert, die Augen gerötet und leer. Hinter mattiertem Glas summt die Schule, doch hier – zwischen flackernden Lichtern – hallt jeder Schritt mit der Bedrohung dessen, was noch kommt. Seine Krawatte sitzt schief, der Hals ist frei, die Hände zittern, während er den Stoff glattstreicht, als könnte er damit seine Schuld wegdrücken. Havyn findet ihn so: Haare entkommen dem strengen Zopf, die Schultern angespannt unter einem grauen Sweatshirt, der Kiefer so fest zusammengebissen, dass es fast weh tut. Sie sagt kein Hallo; stattdessen streifen ihre Finger seine Knöchel, berühren die rohe Haut mit einer Zärtlichkeit, die ihn fast zerbricht.
„Wir müssen reden“, flüstert sie, der Blick springt von seinem Mund zu seinen Augen. Ein Aufblitzen von Angst liegt in ihr, getarnt als Autorität, doch Calder durchschaut es; das tut er immer. Er will sie berühren, will für sie gut sein, aber er weiß nicht mehr, was gut überhaupt bedeutet.
Schweigend gehen sie durch die hinteren Gänge, ihre Körper fast berührend, Worte hinter den Zähnen gefangen. Schließlich bricht Havyns Stimme das Schweigen, zitternd. „Sie wissen es. Das Personal, die Schüler. Ich hab meinen Namen an der Toilettenwand gesehen.“ Sie lacht, ohne Humor, und Calder will sie so festhalten, dass die Welt sie nicht finden kann.
Er versucht sie zu beruhigen, legt eine Hand auf ihre Schulter, Wärme fließt zwischen ihnen. „Wir kriegen das hin“, murmelt er, doch die Lüge schmeckt bitter. Für einen Moment lehnt sie sich in seine Handfläche, ihre Mauern fallen, die Augen werden weich.
Im Büro der Theater-AG läuft Vesya auf und ab, ihr geblümtes Kleid wirbelt über abgetragene Sneakers. Die Wangen gerötet, dreht sie einen verblassten Schlüsselband-Anhänger in den Händen. „Sie brauchen jemanden, dem sie die Schuld geben können. Wenn ich nicht rede, zerstören sie euch beide“, sagt sie, die Stimme brüchig, aber mutig. Siera steht neben ihr, trotzig, bernsteinfarbene Augen scharf vor Sorge. Kaelun lehnt lässig an der Tür, die Hände tief in den Kapuzenpulli-Taschen, mit einem schiefen, wissenden Lächeln. „Lass nicht zu, dass sie für dich entscheiden“, sagt er leise zu Vesya. „Schreib dein eigenes verdammtes Ende.“
Havyns Hand zittert, als sie Calders drückt, ein stilles Ja zu allem, was jetzt kommt. „Wenn ich falle, dann will ich, dass es für etwas ist, das ich gewählt habe“, haucht sie ihm ins Ohr. Er küsst ihre Stirn, ein unsicherer Kuss: Entschuldigung und Versprechen zugleich.
Die Nacht bricht herein. Die Schule wirkt verlassen, bis auf die Sporthalle, wo Calder und Havyn zusammen auf der Ringermatte zusammenbrechen. Ihr Sweatshirt über den Kopf gezogen, seine Finger tasten nach Knöpfen, ihre Körper hungrig – verzweifelt – jede Berührung von Trauer und Erleichterung durchdrungen. Havyns Hände zeichnen die Konturen seiner Wirbelsäule nach, ihr Atem stockt bei seinem Namen; Calder küsst die blauen Flecken an ihren Hüften, Anbetung in jeder zitternden Bewegung. Sie bewegen sich, als würde die Welt untergehen: keuchende Brust, von Schweiß glänzende Haut, Tränen vermischen sich mit Küssen – roh, verzweifelt, wortlos. Jeder Laut in der Dunkelheit ist halb Flehen, halb Erinnerung.
Danach, ineinander verheddert, streicht Calder eine Haarsträhne hinter Havyns Ohr. „Ich kann dich nicht immer wieder verlieren“, flüstert er, die Stimme fast zerbrochen.
Sie antwortet nicht – muss es nicht. Ihr Blick ist wild und verängstigt, ein Versprechen, das sie vielleicht nicht halten kann.
Im Auditorium steht Vesya wie erstarrt vor der schweigenden Schülerschaft, ein zerknittertes Blatt Papier in der Faust. Ihr Herz pocht in der Kehle, während sie nach ihrer Stimme sucht. Alle Augen sind auf sie gerichtet, wartend – auf Gnade oder auf Blut.
Fortsetzung folgt...