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Kapitel 8

Vesyas Handflächen zittern, als sie die provisorische Bühne in der Cafeteria betritt, verborgen nur hinter einem fleckigen Samtvorhang und dem kollektiven Atem einer Schule, die am Abgrund steht. Ihr Haar, karamellfarbene Wellen, die sie mit zitternden Fingern zurückgesteckt hat, will nicht ordentlich bleiben; Schweißperlen stehen an ihren Schläfen. Sie trägt ihr Lieblingskleid in Blau – eine geheime Rüstung – am Bund zerknittert von Stunden, die sie über halb zerrissenen Beichtzetteln verbracht hat. Das Murmeln der Menge ist eine Flut, die sie zu verschlingen droht, doch ihr Blick trifft Sieras in der ersten Reihe: scharf, die Lippen zu einer ängstlichen Hoffnung gepresst. Zum ersten Mal sieht Vesya nicht weg.

Als sie zu sprechen beginnt, bricht ihre Stimme unter der Last zu viel Schweigens. Worte strömen heraus – Wahrheiten über die Vertuschung, über Maeras Manipulation, über ihre eigene Rolle als Ghostwriterin hinter den halben Wahrheiten und Entschuldigungen der Schule. Der Raum ist erfüllt von Unglauben; Lehrer rutschen unruhig auf ihren Stühlen, manche Gesichter erröten vor Scham, andere sind blass vor Erleichterung. Ihre Hände ballen sich, lösen sich wieder, und schließlich sagt sie: „Ich werde für euch nicht mehr verschwinden.“ Der Satz hängt da, scharf und hell.

Kaelun lehnt an einer Säule hinten, Hausmeisterjacke locker, die Ärmel hochgekrempelt, sodass seine tätowierten Unterarme sichtbar sind. Er trifft Vesyas Blick, ein schiefes halbes Lächeln huscht über seine Lippen. Havyn steht neben der Bühne, der Rücken starr wie ein Rohr, die Trainingsjacke hochgeschlossen, die Arme fest verschränkt, als würde sie sich allein mit Willenskraft zusammenhalten. Ihre Wangen sind fleckig, die Augen glänzen vor etwas Wildem und Zerbrechlichem. Calder ist auch da – Krawatte schief, Erschöpfung in der Mundpartie, doch sein Blick weicht nicht von Havyn.

Als Vesya endet, setzt der Applaus stockend ein, wie Böen im Wind. Kaelun klatscht als Erster, schnell und stolz, und spornt die anderen an. Vesyas Kopf senkt sich, Erleichterung und Angst kämpfen um ihr Gesicht, doch ein echtes, erstauntes Lächeln bricht durch. Der Schulleiter, die Stirn in Falten, die Lippen zusammengepresst, versucht aufzustehen; Sieras Stimme, klar und durchdringend, schneidet durch den Raum: „Sie ist nicht euer Sündenbock.“ Der Schulleiter sinkt zurück, besiegt vom stillen Konsens. Albright High atmet endlich neu.

Später, als die Dämmerung durch die leeren Flure sickert, wartet Calder an der ramponierten Turnhallentür, die Hände tief in den Taschen, der Kiefer angespannt. Sein Hemd ist zerknittert, das Haar zerzaust von nervösem Durchfahren mit den Fingern. Havyn findet ihn dort, am Zerbrechen, in alten Jogginghosen und hastig übergeworfenem Hoodie, die Haltung vorsichtig, aber hoffnungsvoll.

Sie sprechen zuerst nicht – nur das Flüstern ihrer Schritte, das Zittern ihrer ineinander verschlungenen Hände. Dann hebt Calder eine zitternde Hand an Havyns Wange, sein Daumen streicht über den dort blühenden blauen Fleck, Entschuldigung flackert in seinen Augen. „Ich hätte früher aufhören sollen zu rennen“, flüstert er, die Stimme rau vor Sehnsucht und Reue. Havyns Antwort ist noch sanfter: „Ich wollte dich nie loslassen.“

Er drückt sie sanft gegen den kühlen Beton, ihre Atemzüge vermischen sich, die Stirnen berühren sich. Ihre Finger gleiten unter sein Hemd, erkunden Narben, jede Berührung ist Vergebung und Bitte zugleich. Ihre Küsse sind hungrig und unbeholfen, alle Zurückhaltung verbrannt. Kleidung fällt – ihr Hoodie, sein Hemd, Socken verschwinden im Schatten. Sein Mund zeichnet die Vertiefung ihres Halses nach, ihre Rippen, ihr Keuchen ist das einzige Versprechen, dem sie trauen können. Sie klammert sich an seine Schultern, die Knöchel weiß, die Beine um ihn geschlungen, als wolle sie sich endlich an etwas Echtem festhalten. Sie bewegen sich zusammen – dringend, zärtlich, verzweifelt nach Bestätigung suchend. Seine Stimme bricht, als er ihren Namen murmelt; sie zieht ihn näher, braucht alles von ihm, jede Wunde und jede Hoffnung offenbart.

Danach, verschlungen und schweißnass im schummrigen Licht nahe der Turnhallentür, schluchzt Havyn leise an Calders Brust. Er streicht ihr durchs Haar, küsst ihre Stirn, murmelt zerbrochene Entschuldigungen und Versprechen, ohne zu wissen, was der Morgen bringen wird. Für einen atemlosen Moment ist die Angst verschwunden.

Auf der anderen Seite des Schulhofs steht Vesya auf den Stufen, die Schultern zurückgeworfen, die Spannung in ihrem Kiefer gelöst durch Kaeluns Hand auf ihrem unteren Rücken. Siera bleibt an ihrer Seite – jung, aber schon verändert, ihre Augen glänzen vor Stolz und Unsicherheit. Während die Schüler aus der Cafeteria strömen, bröckelt die alte Fassade der Schule, hinterlässt etwas Rohes und Ungewisses.

Havyn schaut zu Calder auf, tränenverschmiert, aber lächelnd, und sagt: „Wenn wir verbrennen, dann brennen wir zusammen.“ Calder antwortet mit einem Kuss, als würde er ein Versprechen besiegeln. Zum ersten Mal sucht keiner von beiden den Ausgang. Ihr Chaos, ihre Sehnsucht und die zerbrechliche Hoffnung, die bleibt – das ist endlich ihr.

Verstrickte Herzenslinien

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