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Kapitel 4

Calders Hemd klebte an seinem Rücken, Schweißperlen standen an seinem Haaransatz, während er durch die hallenden, nachtschweigenden Flure schlich. Seine Krawatte hing lose, blasse Hände tief in den Taschen vergraben, die Schultern ein kleines Stück angespannter als sonst. Das Lachen der Schüler von vorhin hallte noch in seinem Kopf nach, ein leises Rauschen; er versuchte, es auszublenden, doch die geflüsterten Gerüchte, die ihm nachgingen, lasteten heute schwerer, wie ein Schwarm, der direkt unter der Haut zu kribbeln begann.

Er fand Havyn bei den Spinden, ihre Sportjacke bis zum Kinn zugezogen, der Körper abwehrend gedreht, der Kiefer unter einem Wirrwarr dunkler Haare angespannt. Ihre Augen blitzten zu ihm auf – stürmisch, suchend, dann verschlossen. Sie wirkte fast unnahbar, nur das leichte Zittern ihrer Hand verriet einen Riss darunter. Calder versuchte, ihren Blick zu halten, blieb aber an dem Verband hängen, der ihre Knöchel umschlang, das Bild ihres festen Griffs im Schwimmbad summte noch in seiner Handfläche nach.

„Warum bist du hier?“ fragte sie, die Stimme leise, kontrolliert, aber nicht ganz kalt. Die Spannung zwischen ihnen war fast greifbar – eine unsichtbare Saite, die bei jedem unausgesprochenen Wort vibrierte.

„Ich hab gehört, was sie sagen“, murmelte Calder, die Stimme an den Rändern brüchig. „Über mich. Über uns.“ Er trat näher, die Luft knisterte. „Es wird schlimmer werden, bevor es besser wird.“

Havyn presste die Lippen zusammen, eine kleine, abwehrende Bewegung ihrer Zunge über eine eingerissene Lippe. „Du hast gewusst, dass das kommt“, sagte sie, doch ihre Finger verkrampften sich in ihrem Ärmel, verrieten ihre Nerven. „Wir beide.“

Irgendwo schlug eine Tür zu, weit entfernt. Calder zuckte zusammen, und für einen Moment überdeckte die Erschöpfung in seinem Gesicht alles – blaue Schatten unter den Augen, ein fast verzweifeltes Flackern darin. „Ich kann nicht der sein, den sie von mir erwarten“, gestand er, die Stimme fast zerbrechlich. „Aber ich kann dich auch nicht verlieren.“

Sie schluckte, der Kiefer angespannt. „Ich brauch keine Rettung“, brachte sie hervor, doch darin lag eine Bitte, eine Frage, die sie nicht auszusprechen wagte.

Er nickte, dann streckte er zögernd, zitternd die Hand aus – die Fingerspitzen berührten den Ellenbogenbogen, suchten Halt. Havyns Atem stockte. Mauern, die jahrelang gehalten hatten, drohten einzustürzen; etwas, roh und wund, lag zwischen ihnen. Für einen Herzschlag lehnte sie sich in seine Berührung, dann riss sie sich los, die Augen glänzten vor etwas, das gefährlich nah an Tränen war, die sie nie fallen lassen würde.

Woanders stand Vesya am Rand der Lehrer-Lounge, die Schultern in ihrem Secondhand-Kleid nach vorne gezogen, das verblasste Blumenmuster fing das grelle Licht ein. Das Telefon in ihrer zitternden Hand vibrierte – eine neue Nachricht, eine Drohung in zu vertrauter Sprache: „Entlarv sie, oder deine Vergangenheit wird ihre.“ Ihre Brust zog sich zusammen. Sie presste die Knöchel an die Lippen, schluckte den Schrei hinunter. Niemand sah ihr nach, als sie vorbeiging. Unsichtbar, bis man sie brauchte, belastet mit Geheimnissen, die alles zerstören konnten, was ihr lieb war.

Hinter der Bühne, nach dem Vorhang, bot die Dunkelheit keinen Schutz, nur Versteck. Calder fand Havyn dort, der schwere Samtduft hing in der Luft. Er griff nach ihr, Verzweiflung lag in der Art, wie seine Hände ihre Taille fanden, die Finger sich besitzergreifend ausbreiteten. Sie bewegte sich zuerst nicht; dann ließ sie los – alle Zurückhaltung verflog. Ihr Kuss war ein Aufprall: Lippen, die sich blutig stießen, Zähne, die sich verhakten; Hände, die die Haut erkundeten, genährt von Wochen des Verzichts. Irgendwo in der Nähe hallte Applaus, eine Welt entfernt.

Havyn zog ihn näher, ihre Jacke glitt zu Boden. Sie presste ihn gegen die wackelige Bühnenwand, der Atem keuchend, flüsterte seinen Namen wie ein Geheimnis, das brennen sollte. Calder erwiderte es, jede Berührung eine Entschuldigung, jeder Kuss ein Versprechen, nie zu gehen, auch wenn er fürchtete, es entgleite ihm schon. Als sie sich schließlich lösten – Haut gerötet, Herzschlag rasend – fühlte sich die Welt verschoben an, aus dem Gleichgewicht gebracht.

Draußen im Flur verharrte Vesyas Silhouette, beobachtete sie durch einen Spalt in der Tür. Ihre Augen waren voll von etwas Komplexem – Sehnsucht, Reue und ein Funken Entschlossenheit. Sie berührte die Nachricht auf ihrem Telefon, der Daumen schwebte darüber. Ihre Entscheidung würde alles verändern.

Irgendwo vibrierte ein weiteres Handy. Eine Schattenfigur schickte eine zweite Nachricht – diesmal an Calder. Die Worte erschienen auf seinem Sperrbildschirm, verdammend und düster: „Es kommt noch mehr. Du bist nicht bereit.“

Fortsetzung folgt…

Verstrickte Herzenslinien

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