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Kapitel 3

Calders Hemd klebt noch vom Schweiß des hektischen Morgens an seiner Haut, der Kragen sitzt schief, die Krawatte locker genug, um die blasse Stelle an seinem Hals zu zeigen, wo er sich mit dem Daumen in die Haut gedrückt hat, um wach zu bleiben. Seine Augen heben sich von einem Stapel Schülerakten, als Havyn hereinkommt, die Sporttasche lässig über eine muskulöse Schulter geworfen, das Weiß ihres Tanktops leuchtet gegen ihre gebräunten Arme. Sie bewegt sich mit gespannter Präzision, jeder Schritt sitzt, als wäre der geflieste Flur eine Bahn, die sie schon tausendmal bezwungen hat. Ihre Augen, kalt und undurchschaubar, werden für einen Moment weich, als sich ihre Blicke treffen – dann schließen sie sich wieder, geben nichts preis.

Ohne Umschweife wirft sie einen Zettel auf seinen Schreibtisch – ein zerknittertes Gerücht, abgerissen von der Wand einer Toilettenkabine. „Die sagen, du und ich –“ Sie hält inne, die Lippen zu einer dünnen, unsicheren Linie gepresst, „dass da was läuft.“ Ein Muskel zuckt in ihrem Kiefer. Calder spürt, wie die Anschuldigung zwischen ihnen liegt, stachelig und elektrisch, nicht zu übersehen.

Seine Finger tasten unsicher über den Zettel. „Wir müssen doch nicht –“ beginnt Calder, doch Havyn unterbricht ihn, die Stimme leise und dringlich. „Doch, müssen wir. Wenn nicht, wandern die Gerüchte zu Siera. Oder schlimmer.“ Ihr Blick schweift zur Tür, als hätte selbst die Wand Ohren. „Wir spielen es vor. Für die.“

Er kann nicht anders, als den blauen Fleck an ihrem Unterarm zu bemerken, halb verdeckt vom Taschengurt. Seine Hand schwebt, fast berührt sie, doch er zieht sie zurück, die Nerven brennen. Sie bemerkt es. Das scharfe Lächeln verliert einen Hauch seiner Schärfe. „Du bist furchtbar schlecht im Vortäuschen, weißt du das?“, murmelt sie, ein neckischer Ton, doch darunter schwingt etwas Scharfes und Sehnsüchtiges mit.

Er versucht sich zu fangen, richtet seine Krawatte – vergeblich, er zerfällt schon. „Dann üben wir eben“, sagt er, die Stimme kaum mehr als ein Krächzen.

Vesya taucht in der Tür auf – zerzauste Locken entkommen ihrem Dutt, Hände jonglieren mit Drehbüchern und einem ramponierten Laptop. „Wenn ihr das durchziehen wollt, braucht ihr eine Geschichte.“ Ihr Ton ist leicht, doch ihre Augen huschen schnell zwischen ihren Gesichtern hin und her, erfassen jede Spannung, jeden flüchtigen Blick. „Lächeln, gemeinsamer Kaffee, gleiche blaue Flecken – glaubwürdig, aber nicht zu perfekt“, flüstert sie theatralisch. Dann leiser: „Passt auf. Die Leute suchen nach jedem Anlass.“

Als Vesya den Flur hinunter verschwindet, schrumpft Calders Büro auf drei Schritte zwischen ihm und Havyn. Ihre Haltung ist starr, als würde sie einen Schlag erwarten, doch dann rollt sie die breiten Schultern zurück, schließt die Distanz und sagt: „Okay. Zeig’s mir.“

Er schwört, sie nicht anzufassen, doch seine Hand verrät ihn, findet ihre Taille, drückt in weichen Stoff und harte Muskeln zugleich. Ihr Einatmen ist scharf, überrascht. „Das ist… gar nicht so schlecht“, bringt sie hervor, doch ihr Lachen bricht, schief und unkontrolliert. Calders trockener, verzweifelter Mund streift eine Frage an ihrer Schläfe: „Glaubwürdig genug?“

Sie fixiert ihn mit einem Blick, so roh, dass die Luft rau wird. Ihre Körper berühren sich – zuerst absichtlich, dann mit der unbeholfenen, hungrigen Ehrlichkeit von Menschen, die das eigentlich nicht tun sollten. Ihre Hände wandern seinen Rücken hoch, gleiten unter den Saum seines Hemdes, Nägel kratzen leicht, suchen nach etwas, das sie nicht benennen will. Er lehnt sich zu ihr – keine Show mehr, nur Hitze und der Schmerz, wie ihre Grenzen verschwimmen.

Als sie ihn küsst, ist es eine Brandmarke – unerwartet, heftig, Erleichterung und Reue in jedem Druck ihrer Lippen. Er antwortet mit stakkatoartigen Atemzügen, vergräbt eine Hand in ihrem dunklen Haar, die andere zittert an ihrer Wirbelsäule. Sie taumeln gegen seinen Schreibtisch, gefangen in einem wilden Tanz aus Händen und Mündern, kaum noch fähig, sich daran zu erinnern, für wen sie das eigentlich vorspielen.

Sie zieht sich gerade genug zurück, um zu atmen, die Stimme zittert: „Wenn wir erwischt werden –“ Doch Calder ist schon da, fährt mit der Hand über ihren Kiefer, verspricht Dinge, die er nicht aussprechen kann.

Ein Klopfen zerreißt den Moment, reißt sie auseinander. Kaeluns raues Lachen hallt durch die Tür. „Besser, ihr macht Schluss, ihr Turteltauben. Die Fakultätssitzung fängt in fünf Minuten an.“

Während Havyn sich die Haare glattstreicht, die Wangen gerötet, merkt Calder, dass sein Hemd halb aus der Hose gerutscht ist, die Lippen kribbeln, das Herz hämmert. In der Stille danach fragt er sich, ob das Vorspielen jemals so echt – oder so gefährlich – war.

Doch draußen, im leeren Flur, beobachtet ein scharfer Blick – Siera, ein Notizbuch fest an die Brust gepresst, der Mund zu einem schlauen, wissenden Lächeln verzogen.

Fortsetzung folgt...

Verstrickte Herzenslinien

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