Kapitel 7
Regen prasselt auf Kaels Schultern, während er durch das Labyrinth der Marktstände stapft, die dunkle Jacke fest um sich gezogen, der Kiefer angespannt. Sein Haar ist feucht, kringelt sich am Nacken. Er sieht, wie Renon zwischen mit Planen bedeckten Kisten am Hinterhof entlangschleicht, die Bewegungen des Sicherheitschefs zu bedacht, die Augen misstrauisch zurückwerfend. Kaels Fäuste ballen sich an den Seiten. Sein Puls hämmert vor alter Wut – das Gesicht seines Bruders flackert vor ihm auf, verschwommen und vorwurfsvoll.
Er stürzt vor, packt Renon am Arm und drückt ihn hart gegen eine verrostete Tür. „Du hast gelogen. Über diese Nacht,“ knurrt Kael, die Stimme rau. Regen perlt an seiner Stoppelwange; seine Augen glühen, wild. Renons Mund zuckt, doch er schweigt, der Blick kalt, die Lippen zu einer dünnen, bitteren Linie gepresst. Kaels Atem kommt heiß und abgehackt, nah genug, um die Angst des anderen zu sehen.
Schritte schlagen auf nassen Beton. Irisas Haare kleben an ihrem Gesicht, die Bluse durch den Regen durchsichtig, die Blumen von ihrem Stand welken in ihrer geballten Hand. Ihre Augen sind weit aufgerissen, rot umrandet, die Lippen zittern, als sie fast gegen Kaels Rücken stößt. „Hör auf – bitte, tu das nicht. Kael, du willst das nicht –“ Ihre Stimme bricht. Sie zittert, nicht vor Kälte.
Kael lässt nicht los. „Ihr habt mir etwas verheimlicht. Ihr beide.“ Seine Stimme zerbricht, etwas Verzweifeltes schleicht sich ein. Für einen Moment sieht er sie an – Regen läuft ihre Wange hinab, verschmierter Mascara unter ängstlichen, leuchtenden Augen.
Irisas Stimme ist dünn, flehend. „Ich... ich habe gesehen, was in jener Nacht passiert ist.“ Sie kann ihm nicht in die Augen sehen. Die Blumen in ihrer Hand fallen, die Blütenblätter bläulich an ihren Füßen. Ihre Brust hebt und senkt sich, Panik zittert in ihren Fingern, die sie ineinander verschränkt. „Ich hatte solche Angst. Ich hätte es dir sagen sollen – ich wollte es. Aber ich war wie gelähmt...“ Ihr Atem stockt; sie wischt Regen und Tränen von ihrem Gesicht. „Kael, es tut mir so leid. Ich kann es nicht ungeschehen machen.“
Endlich lässt er Renon los, stößt ihn beiseite, ohne einen Blick zu riskieren. Jeder Muskel in Kaels Körper ist angespannt vor Schmerz und Verrat. „Ihr habt mich jahrelang hassen lassen,“ keucht er, die Stimme heiser, der Kiefer zittert. „Ihr habt mich glauben lassen, ich hätte ihn vertrieben. Was zum Teufel sollte ich denn damit anfangen?“
Irisa hält sich den Mund, schluchzt, die Schultern nach innen gezogen. Ihre Verletzlichkeit reißt an ihm. In diesem verletzten Raum zwischen ihnen brodeln Scham und Verlangen.
Sie will sich abwenden, doch Kaels Hand schießt heraus und fängt ihr Handgelenk. Seine Stimme ist rau vor Schmerz – „Geh nicht.“ Für einen Moment schweben sie so, eingefroren. Dann zieht er sie an sich, verzweifelt, die Lippen krachen auf ihre. Sie keucht, Schock schmilzt in Hingabe, die Hände gleiten über sein durchnässtes Hemd, krallen sich fest in seinen Rücken. Der Kuss ist hart, ein Sturm aus Schmerz und Vergebung. Er presst sie gegen die Tür, die Lippen gierig auf ihren, schmeckt Salz, Regen und all ihre Reue.
Ihre Finger verfangen sich in seinem Haar, ziehen, bis er stöhnt, Hitze unter ihrer Haut aufblühend. Er hebt sie hoch, presst ihren Körper eng an sich, ihre Schenkel zittern, als sie sie um seine Taille schlingt. Die Kleidung klebt nass, und er haucht ihren Namen an ihren Hals. Sie wölbt sich gegen ihn – bedürftig, schmerzend, verloren in der rohen Intensität des Moments.
Ihre Körper bewegen sich im hektischen Rhythmus, Hände streifen, greifen, beide schluchzen leise zwischen den dringenden Küssen. Die Welt schrumpft auf die Hitze der Haut und den Geschmack von Vergebung; ihr Verlangen ist Wunde und Heilung zugleich. Danach rutschen sie die Wand hinab, brechen auf dem kalten Beton zusammen. Irisa vergräbt ihr Gesicht an seiner Schulter, zitternd, klammert sich mit zitternden Händen an sein Hemd. Kael vergräbt sein Gesicht in ihrem Haar, schweigend, nur die stotternden Atemzüge zerreißen die Stille.
Während ihre Tränen sich vermischen, steht Lex am Eingang des Hinterhofs, regungslos. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, die Augen weit vor gebrochenem Herzen, nimmt er das Nachspiel in sich auf – ein Bild aus Schmerz und Versöhnung, in das er nie eintreten kann. Er atmet ein, die Schultern angespannt, und tritt zurück in den Schatten.
Kael hebt den Kopf, die Wut kühlt ab zu etwas Erschöpftem und Leerem. Irisas Hand findet seine. Sie sitzen in zerstörter Stille, Glieder verheddert, doch die Luft vibriert von dem, was noch zwischen ihnen hängt – unausgesprochene Worte, halb geformte Entschuldigungen, kaum verheilte Wunden.
In der Nähe wischt Renon sich Blut vom Lippenrand, wirft einen Blick über die Schulter. Er schleicht aus dem Blickfeld, ein Schatten von Schuld liegt auf seinem Gesicht. Die Geheimnisse, die er trägt, sind noch nicht vorbei.
Eine Sirene heult irgendwo nah – eine Warnung oder vielleicht ein Urteil.
Fortsetzung folgt…