Kapitel 8
Kael steht am Rand des rissigen Betons hinter dem Markt, der Kiefer angespannt, die Hände zu Fäusten in den Taschen seiner abgetragenen blauen Arbeitsjacke vergraben. Er sagt nichts; er beobachtet Renon mit dunklen, wilden Augen, ein kaum gezähmter Sturm. Die frühe Sonne berührt kaum sein Haar, das fast schwarz wirkt, Schatten unter den Augen wie blaue Flecken. Neben ihm steht Lex, steif in seinem ausgebleichten dunkelroten Hoodie, die Arme schützend vor der Brust verschränkt, jeder Muskel angespannt. Für einen Moment ist die Stille zwischen den drei Männern fast erdrückend.
Renon hebt endlich den Blick, der Kiefer fest, die harten Züge seines Gesichts verweigern jede Reue. „Ich wollte nie, dass er verschwindet“, murmelt er, die Stimme rau und leise. „Ich habe versucht, ihn zu warnen. Du weißt das.“ Seine Hände sind geöffnet – Handflächen nach oben, flehend, doch in seinen Augen liegt etwas Kaltes.
Kael macht einen hastigen Schritt nach vorn, der Atem zittert, doch Lexs Arm schießt heraus und hält ihn zurück. „Kael, hör auf“, sagt Lex, die Stimme zittert, bleibt aber bestimmt. „Du bist besser als das.“ Kaels Gesicht verzieht sich, Schmerz und Wut kämpfen um die Oberhand. Für einen Herzschlag sieht es aus, als würde er zusammenbrechen, zuschlagen oder schreien.
Stattdessen atmet er aus, die Schultern sinken. Der Kampf verlässt ihn, zurück bleibt nur Trauer. Die Worte sind kaum hörbar – „Du hättest ihn retten können“ – doch sie hängen schwer in der Luft, wie nasse Wolle. Renon zuckt zusammen; etwas wie Scham flackert über sein Gesicht, bevor er wegschaut.
Lexs Hand bleibt auf Kaels Arm – ruhig, haltgebend. „Wir sind hier fertig“, sagt er sanft. „Lass es los.“ Zum ersten Mal hört Kael zu. Er nickt, den Blick auf den Boden gerichtet, und geht weg, jeder Schritt brüchig, die Vergangenheit hinter sich herziehend.
Im Inneren der Haupthalle wartet Irisa an ihrem Stand, die Hände zittern, während sie blasse Tulpen ordnet, das Haar fällt ihr lose ins Gesicht. Als sie Kael sieht, richtet sie sich auf, die Lippen leicht geöffnet, Unsicherheit in ihren großen dunklen Augen. Er kommt langsam auf sie zu, zielstrebig, die Erschöpfung in seinen Zügen deutlich sichtbar. Er bleibt nah stehen, so nah, dass ihre Atemzüge sich vermischen.
„Es tut mir leid“, flüstert sie, die Stimme rau und dünn. „Für alles, was ich—“ Kael bringt sie mit einer Berührung zum Schweigen, seine Hand streicht über ihre Wange, und sie lehnt sich an ihn, Tränen glänzen, ohne zu fallen. Dann küsst er sie, zuerst sanft, als würde er die Form der Vergebung ertasten – dann tiefer, hält sie fest, als könnte sie sonst verschwinden.
Hände bewegen sich ehrfürchtig, finden Haut unter abgetragenen Schichten – ein Hemd wird hochgeschoben, Fingerspitzen zeichnen mit zitternder Hingabe Narben nach. Irisa wölbt sich zu ihm, ihr Keuchen ist ein leises Gebet, und Kaels Stimme klingt heiser an ihrem Mund: „Ich will nicht mehr weglaufen.“ Sie ziehen sich langsam und sehnsüchtig aus, Glieder verheddern sich im Halbdunkel hinter dem Stand. Die Welt fällt weg, wenn ihre Körper sich finden, das Verlangen in jeder Berührung zugleich sanft und verzweifelt. Sie legt die Arme um seinen Hals, vergräbt ihr Gesicht in seiner Schulter, und seine Hand legt sich über ihren Rücken, der Daumen streicht den schnellen Herzschlag. Sie bewegen sich im Rhythmus – langsam, dann dringend, dann wieder langsam – die Sonne fällt auf nackte Haut, atemlose Worte gehen in Küssen verloren. Danach fährt Irisa mit zitternden Fingern die Linie seines Kiefers nach, und Kael schließt die Augen, lässt alle Mauern endlich fallen.
Woanders steht Lex am Rand einer überfüllten Freiwilligenversammlung. Sein Haar ist vom Schweiß feucht, das Gesicht gerötet, doch zum ersten Mal weicht er nicht zurück. Er entdeckt Myka in der Menge – scharfe Augen, ein verschmitztes halbes Lächeln, die Schürze gesprenkelt mit Kaffee und Farbe. Ihre Blicke treffen sich, etwas Zärtliches flackert zwischen ihnen. Lex räuspert sich, tritt ans Mikrofon und spricht: keine Rede, sondern seine echte Stimme, zitternd vor Überzeugung, endlich Raum einnehmend. Mykas Applaus kommt zuerst, laut und stolz. Sie ergreift seine Hand, als er vom Podium steigt, drückt sie, ein Versprechen in ihrem Grinsen.
Draußen pulsiert der Markt vor Leben – Händler rufen, Lachen steigt auf, der Duft von zerdrückter Minze und Diesel liegt in der Sonne. Kael und Irisa treten hervor, die Finger ineinander verschlungen. Seine Augen sind jetzt weicher, ihre Schultern entspannter, der gequälte Blick gemildert. Lex beobachtet sie vom anderen Ende des Platzes, ein leises Ziehen in der Brust, doch ohne Bitterkeit. Er lächelt, als Irisa seinen Blick trifft, und Kael neigt den Kopf zum stillen Dank. Für einen Moment prallen Geschichte und Hoffnung in Blicken aufeinander, die von Vergebung, Reue und Möglichkeit erzählen.
Während der Morgen sich entfaltet, schlendern Kunden durch das Labyrinth der Stände, und die Wunden hinter jedem Lächeln schmerzen ein wenig weniger. Die drei kreuzen sich im Herzen des Marktes, ohne Worte, nur Blicke – jeder trägt die Last von allem Verlorenen und die zerbrechliche Blüte von etwas Neuem. Die Sonne steigt, hell und unerbittlich, und die Welt dreht sich weiter, unvollkommen, aber lebendig.