Kapitel 3
Kaels Hemd klebt an seiner Brust, durchzogen von Staub, der sich seit dem Morgengrauen beim Kistenstapeln angesammelt hat. Lockige Strähnen hängen feucht über seine Stirn, während er sich durch das Gedränge zur Mittagszeit schlängelt, der Kiefer angespannt, die Schultern bereit für einen Kampf. Sein Blick ist scharf, sucht Irisa mit einer Sehnsucht, die ihm gefährlich im Hals sitzt. Als er sie entdeckt, ist sie über ihre Blumenkübel gebeugt, trägt ein marineblaues Sommerkleid, durch das die Sonne goldene Strahlen in ihr wirres Haar webt. Sie lacht zu laut über etwas, das Talie sagt, die Finger spielen nervös mit einem Band, doch der Blick, den sie Kael zuwirft, ist vorsichtig und elektrisierend.
Irisa richtet sich auf, verschränkt die Arme, die Haltung straff, doch in ihren Augen flackert Unsicherheit, als Kael näherkommt. Seine Stiefel scharren warnend über den Boden, und Talie, die einen Haufen angeditschter Äpfel festhält, spürt den Sturm kommen und rückt vorsichtig zurück, murmelt etwas von Rüben. Die Luft zieht sich zusammen, voll unausgesprochener Worte.
„Du bist früh dran“, sagt sie, das Kinn leicht erhoben. Ihre Lippen sind in einem waghalsigen Beerenton geschminkt, doch an ihrem Knöchel klafft eine kleine Wunde, die sie nervös mit dem Daumen bearbeitet.
Kaels Blick senkt sich, wird für einen Moment weich. „Kannst du’s mir verdenken? Die Geier kreisen schon.“ Seine Stirn legt sich in Falten, als ein paar tratschende Händler vorbeiziehen, Stimmen gerade laut genug: „Sie hat ihn an der Leine, hast du das gesehen?“
Irisa zuckt zusammen, fängt sich aber schnell. „Lass sie reden.“ Doch ihre Hände sind unruhig, drücken die Stiele so fest, dass eine Rosenknospe zwischen ihren Fingern zerbricht.
Für einen Augenblick sieht es aus, als wolle Kael sich entschuldigen – doch er schiebt den Moment beiseite, die Stimme rau. „Was haben sie dir gesagt, nachdem—?“ Er hält inne, das Wort „Bruder“ bleibt unausgesprochen. Sein ganzer Körper pulsiert vor Sehnsucht und Groll.
Sie senkt den Blick, die Wimpern zittern. „Nichts Wichtiges.“ Ihr Atem ist flach; sie hält ihn an, aus Angst, die Wahrheit könnte entgleiten.
Myka stürmt herbei, koffeingeladen und mit großen Augen, zwei Lattes in der Hand und einem viel zu breiten Grinsen. „Ihr zwei seht ja richtig kuschelig aus“, piepst sie, die Augen zwischen ihnen hin- und herspringend. „Soll ich schon mal die Flitterwochen-Suite buchen, oder…?“
Kael verzieht das Gesicht. Irisa rollt mit den Augen, doch ihre Wangen glühen – rosig und verletzlich. Myka bleibt noch einen Moment, dann hüpft sie davon, hinterlässt eine Spur aus Spekulationen und den leisesten Hauch von Trost: Ihre Chemie ist so echt, dass sie nicht zu übersehen ist.
Später hält ein Fremder – groß, das Gesicht von einer abgewetzten Mütze beschattet – Kael am Eingang einer Gasse auf. „Bist du sein Zwilling?“ murmelt der Mann leise. Kael erstarrt, jeder Muskel spannt sich an. „Was weißt du über meinen Bruder?“ knurrt er, die Fäuste geballt.
Irisa, die von ihrem Stand aus zusieht, lässt ihren Strauß fallen. Sie eilt herbei, legt eine zitternde Hand auf Kaels Arm. Ihre Berührung ist federleicht, kaum spürbar, doch sie reicht – er zuckt zusammen, dreht sich zu ihr, Wut flackert in Angst um.
„Beruhig dich“, flüstert sie, die Stimme rau. Ihre Hand verweilt an seinem Ärmel, der Daumen zeichnet einen einzigen zitternden Kreis. Für einen Moment lässt er sich an sie lehnen – eine stumme Bitte – bevor er sich wieder zusammenreißt, der Kiefer hart.
Hinter ihnen versucht Talie, Kürbisse und Klatsch zu jonglieren, doch die Stimmung ist zerbrochen: Kaels Stimme ist verstummt, ersetzt durch das stille Flehen in seinen Augen.
Die Nacht bricht herein, Regen macht den Boden glatt. Im schummrigen Licht des Hinterzimmers hilft Lex Irisa, eine späte Blumenbestellung zu verpacken. Er trägt sein altes Flanellhemd, die Ärmel hochgekrempelt, die Hände sanft, während er Kartons formt. Sein Lächeln stockt, als ihre Hand seine streift, doch seine Augen verweilen, weit und hell. Der Sturm draußen trommelt einen hektischen Rhythmus; ihre Worte werden zu Flüstern.
Irisa steckt sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, die Lippen leicht geöffnet. Sie hält inne, schaut zu ihm auf. Lex’ Herz hämmert. „Du bist immer hier“, sagt sie mit dünner Stimme, „wenn alle anderen gehen.“ Seine Wangen färben sich rot, die Schultern spannen sich – Hoffnung flammt so stark auf, dass es fast weh tut.
Er schluckt, der Mund trocken. „Ich will, dass es dir gut geht.“ Seine Finger streifen die ihren, die Knöchel berühren sich. „Du verdienst—“ Er bricht ab; er kann nicht.
Sie schwankt, das Gesicht offen und gejagt. Für einen Moment lehnt sie sich vor – ihr Atem ist warm, die Augen feucht. Lex neigt sich vor, nur ein Herzschlag von ihren Lippen entfernt—
Sie reißt sich zurück, der Puls rast, Entschuldigung überspült ihr Gesicht. „Es tut mir leid, Lex. Ich… kann einfach nicht.“ Ihre Stimme bricht, zerrissen zwischen Wunsch und Schmerz.
Lex nickt, atmet tief durch, zwingt sich zu einem freundlichen Ausdruck. Doch der Schmerz in seinen Augen ist unverkennbar.
Als Irisa hinausschlüpft, der Regen klebt ihr Haar an die Wangen, beobachtet Kael sie vom Vordach aus, im Schatten, die Augen wild vor Sehnsucht und Verwirrung. Drinnen starrt Lex ihr nach, hält eine lose Nelke, der Kiefer angespannt in stiller Herzschmerz.
Auf der anderen Seite des Marktes bleibt Myka am Überwachungsmonitor stehen, die Augen groß, während das Bild flimmert. Eine verschwommene Aufnahme: Irisa, in der Nacht ihres Verschwindens, erstarrt im ausgewaschenen Licht der Gasse. Myka stockt der Atem – Angst und Erkenntnis verheddern sich in ihrer Brust.
Fortsetzung folgt...