Kapitel 6
Belise lehnt sich an die mahagonifarbene Fensterbank der Executive Suite, die Lichter der Stadt spiegeln sich in ihren Brillengläsern. Ihr maßgeschneidertes, schieferblaues Kleid umschmeichelt jede entschlossene Bewegung, der Stoff fängt das kalte Leuchten der späten Bürolampen ein. In der straffen Haltung ihrer dunklen Brauen und dem festen Zusammendrücken ihrer Lippen liegt eine kalkulierte Spannung – ein Lächeln gibt es nur, wenn sie es wirklich meint. Sie beobachtet, wie Yulian unruhig auf und ab geht; die Hemdsärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt, die Unterarme angespannt, fast wild. Sein sonst makelloses Haar ist zerzaust, die Augen von Schlaflosigkeit gerändert, seine Haltung ruht auf einem schmalen Grat zwischen Drohung und stummer Bitte.
Er bleibt vor ihr stehen, zu nah, sein Atem scharf. „Du genießt das“, wirft er ihr vor, die Stimme rau, die Anschuldigung kaum verhüllte Sehnsucht.
Belises Blick senkt sich, verweilt auf der blauen Kante seines Kiefers – eine Spur privater Kämpfe. Sie zuckt lässig mit einer Schulter, gefährlich gelassen. „Ich muss es nicht genießen“, murmelt sie. „Ich muss nur gewinnen.“ Doch ein Zittern verrät sich in ihren Fingern, die das Handy umklammern – sie hasst es, dass er es sieht, noch mehr, dass es sie berührt.
Er tritt näher, drängt sie gegen das Glas, die Hände flach an ihren Hüften. Für einen kurzen, geladenen Moment rührt sich keiner von beiden. Die Stadt glitzert hinter ihnen, anonym und gleichgültig. Er sucht ihr Gesicht nach Schwäche ab. Doch was er findet, ist etwas anderes – eine Einladung, vielleicht eine Herausforderung.
Er küsst sie wie eine Frage, auf die er keine Antwort will. Ihr Rücken wölbt sich kaum merklich, drückt sie noch näher an sich. Im Schweigen von Nacht und Ehrgeiz prallen sie aufeinander. Mit geübter Leichtigkeit öffnet sie seinen Gürtel, ihre Nägel ziehen Linien über seinen Rücken. Seine Hände formen ihre Taille – fest, fast strafend – sein Mund an ihrem Hals. Doch Misstrauen sickert ein, verlangsamt jeden Stoß, jeden Atemzug, begleitet von Erinnerungen an Geheimnisse, zu scharf, um sie zu vergessen.
Als es vorbei ist, lehnt er sich schwer an sie, atmet keuchend. Belises Haare sind zerzaust, ihr Kleid verrutscht. Sie fixiert ihn mit einem Blick, der gleichermaßen Verachtung und Verlangen trägt. „Das macht uns nicht zu Verbündeten“, sagt sie, die Stimme brüchig.
Er grinst, doch seine Augen suchen ihre mit roher Hoffnung. „Ich brauche keinen Verbündeten. Ich brauche die Wahrheit.“
Mit zitternden Händen knöpft sie ihr Kleid zu, beobachtet ihn aus dem Augenwinkel. Er geht zu ihrem Laptop, Neugier leuchtet hinter seiner Erschöpfung auf. Der Bildschirm erwacht, Dateien liegen offen und ungeschützt für eine einzige, fatale Minute. Yulians Blick bleibt an einem Ordner hängen – sein Name, Laerises, Sciros. Sein Atem stockt. „Was ist das?“ fordert er, die Stimme kalt.
„Tu es nicht“, warnt Belise, die Stimme bricht – Reue und Panik kämpfen in ihren Augen, ein flüchtiger Schimmer von Verletzlichkeit zwischen ihren Wimpern.
Doch er öffnet die Dateien, scrollt durch Nachrichten, Fotos, Beweise des Verrats – jede Geheimwaffe, die sie gehortet hat, inklusive seiner eigenen Sabotage und Laerises Schulden. Der Raum versinkt in Stille, nur das stetige Summen der Stadt draußen und sein rasender Herzschlag sind zu hören. Belise steht regungslos, die Schultern angespannt, jeder Zentimeter von ihr verrät den Kampf zwischen Ehrgeiz und dem Verlangen, ihn zu erreichen.
Er blickt auf, das Gesicht leer vor Schock, tausend Fragen brennen hinter seinen Augen. „Wie lange planst du das schon?“
Ihre Lippe zittert, nur einmal, bevor sie sich zusammenreißt. „Lange genug. Du hast mich dazu gezwungen.“
Er lacht, bitter und zerbrochen. „Du sagst das, als hättest du je eine Wahl gehabt.“
Sie stehen da, ein Herzschlag entfernt, keiner wagt den ersten Schritt. Vertrauen verbrennt, zurück bleibt nur Verlangen und Zerstörung – und das Glitzern eines USB-Sticks in Belises zitternder Hand, ihr Daumen schwebt über der Auswurftaste, unschlüssig, ob sie alles vernichten oder sich selbst.
Fortsetzung folgt...