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Kapitel 4

Belise glitt durch den leeren Flur, wie immer in ihrem maßgeschneiderten Schwarz, eine Silhouette, geschärft von Absätzen, die kaum ein Geräusch auf dem polierten Boden machten. Ihr Haar war glatt, streng zurückgebunden, kein Strähnchen verrutscht, doch wer genau hinsah, bemerkte, wie sie ihr Handy umklammerte – die Knöchel knochenweiß, unter der perfekten Fassade ein vibrierendes Spannungsfeld. Sie blieb vor der Glaswand vor dem Pausenraum stehen, gerade lang genug, um ihr eigenes Spiegelbild zu erfassen: kühl, undurchschaubar, die Art Frau, die man unterschätzte. Genau so mochte sie es.

Drinnen lehnte Sciro lässig am Tresen, pure Eleganz ohne Mühe – Hemd am Kragen offen, Jacke achtlos beiseite geworfen. Seine Lippen zogen sich zu diesem nervtötenden, zu routinierten halben Lächeln, als er bemerkte, dass sie ihn beobachtete. „Belise“, murmelte er, die Stimme tief und gefährlich, „du tauchst immer dann auf, wenn die Luft vor Geheimnissen knistert.“ Er trat näher, die geschmeidige Selbstsicherheit eines Mannes, der nie an sich zweifeln musste. Sie musterte seine Hände – der Daumen strich über den Kiefer, eine unruhige Bewegung, die Nervosität verriet, die er nie zugeben würde. Seine Augen zuckten, für einen Moment aus der Fassung.

Sie hielt seinen Blick, ihre Stimme samtig und scharf zugleich. „Ich jage keine Geheimnisse, Sciro. Sie finden mich.“ Sein Lachen war leise, fast spöttisch, doch darunter lag ein Funken Echtheit. Als er in ihren Raum trat, spürte sie den kaum wahrnehmbaren Zitterschlag in seinem Atem. Er wollte etwas von ihr – Informationen, Vergebung, vielleicht einfach nur ein Stück Kontrolle. Seine Finger streiften ihr Handgelenk, so leicht, dass ihre Haut zu brennen begann. Der Moment dehnte sich, pulsierte vor Spannung.

„Bist du gekommen, um mich zu warnen“, flüsterte er, die Augen auf ihren Mund gerichtet, „oder um zu sehen, ob ich wirklich so gefährlich bin, wie du denkst?“ Sie ließ sich ein wenig näher kommen, nah genug, um den Atem zu teilen, und für einen kurzen Augenblick verlor er die Fassung. Ihr Herz schlug schneller, als er sie gegen den Tresen presste, die Hände gierig an ihren Hüften. Der Kuss war scharf, fast verletzend, ein Kampf und ein Geständnis zugleich – keiner von beiden bereit zu weichen, zu kapitulieren. Sein Körper war warm, fordernd, drängte sie, doch sie erwiderte jede verzweifelte Bewegung, die Finger verhedderten sich in seinem Hemd, der Mund blieb unnachgiebig.

Für eine schwindelerregende, waghalsige Minute fühlte es sich an wie Fallen. Doch als Sciro sich zurückzog, das Herz hämmernd, suchte er sie mit neuer Vorsicht ab. „Du bist nicht so kalt, wie du vorgibst zu sein“, sagte er, fast zärtlich. Sie hätte über den Gedanken lachen können, doch etwas in ihrer Brust zog sich zusammen. Mit dem Daumen strich sie über seinen Kiefer, ihre Stimme war Warnung und Versprechen zugleich. „Und du bist nicht unverwundbar.“ Sie standen da, atemlos, keiner wusste, wer gewonnen oder verloren hatte.

Laerises Lachen hallte schrill und doch nervös den Flur entlang. Belise richtete sich auf, glättete ihren Rock, die Maske glitt zurück an ihren Platz. Sciro wischte sich mit dem Daumen die Farbe vom Mund, versuchte gelangweilt zu wirken, doch sie sah, wie seine Finger zitterten. Er griff nach seiner Jacke, um die Oberhand zurückzugewinnen. „Wenn du Druckmittel willst, Belise, musst du dreckiger spielen als das.“ Sie lächelte nur, kalt und perfekt.

Später, allein, saß sie im Lichtkegel der Schreibtischlampe. Sie zog einen zerfledderten Umschlag aus ihrer Tasche, schob Notizen hervor, in ihrer winzigen, präzisen Handschrift gekritzelt: „Yulian – Sabotage, Laerise – Schulden, Sciro – Leck.“ Jeder Name eine Waffe, bereit zum Einsatz. Ihr Spiegelbild auf dem Bildschirm wirkte fast freundlich, fast sanft, und sie schreckte zurück. Sie presste den Umschlag an die Lippen, brauchte den kühlen Stich des Papiers, musste sich daran erinnern, wozu sie fähig war.

Weiter den Flur hinunter hallte Yulians bitteres Lachen – Warnung und Herausforderung zugleich. Laerises Absätze schnippten wie Schüsse. Sciros Duft lag noch auf ihrer Haut, süß und scharf. Das Spiel veränderte sich. Vertrauen würde für jemanden zum Verhängnis werden.

Als Belise die Lampe ausschaltete, leuchtete eine einzige Nachricht auf ihrem Handy auf: „Wähle deine Seite, oder sie wird für dich gewählt.“ Ihr Daumen schwebte, das Herz raste, während sie den Bildschirm leerwischte.

Fortsetzung folgt...

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