Kapitel 5
Die Aufzugtüren gleiten auf an einem weiteren atemlosen Freitag, das grelle Neonlicht fängt das Funkeln in Siraes scharfen Augen ein, während sie im gläsernen Flur direkt vor Caels Büro steht. Ihr Haar ist hochgesteckt, doch einzelne Strähnen umrahmen ihr Gesicht, und ihre marineblaue Seidenbluse sitzt eine Nummer zu groß, bauscht sich an den Handgelenken, als wolle sie darin verschwinden. Sie klopft nicht – sie tritt einfach ein, den Kiefer angespannt, einen Ordner wie ein Schild vor sich haltend.
Cael sitzt an seinem Schreibtisch, die Ärmel hochgekrempelt, die Krawatte gelockert. Seine Finger zittern leicht, als er den Laptop zuklappt, die Augen heben sich und suchen ihre Silhouette im Türrahmen. Die Spannung zwischen ihnen ist lebendig, elektrisch; es sind Tage seit ihrer letzten Auseinandersetzung vergangen, und sie haben sich nicht berührt – haben es sich nicht erlaubt. Er sah nie müder aus, und doch nie schöner, das dunkle Haar zerzaust, die blassen Knöchel auf den Tisch gepresst, um nicht nach ihr zu greifen.
„Thalen braucht unsere Hilfe“, sagt Sirae knapp, als könnte Förmlichkeit sie retten. Sie schaut weg, die Lippen fest aufeinandergepresst, doch eine Ader pulsiert an ihrem Hals. „Die Prüfung rückt näher. Wenn das rauskommt, verliert er alles.“ Ihre Stimme wird beim letzten Wort einen Hauch sanfter, und Cael steht auf, geht um den Schreibtisch herum, um die Distanz zu überbrücken.
Er ist nah genug, um ihren Atem zu spüren, warm und flach. „Wir kriegen das hin“, sagt er vorsichtig, leise, bemüht, seine Sehnsucht nicht zu verraten. Er kämpft dagegen an, ihr eine lose Strähne aus dem Gesicht zu streichen, erinnert sich an den Geschmack ihrer Haut in der Tiefgarage, das Vertrauen in ihren Augen an jenem Abend. Sie sieht überall hin – nur nicht zu ihm.
Die Stille wird schwer, hüllt sie ein in alte Geheimnisse und unausgesprochene Worte. „Du läufst immer noch weg“, murmelt er rau. Sie zuckt zusammen, lässt die Arme sinken, den Ordner vergessend. Ihre Knöchel sind weiß, der Kiefer zittert vor Anstrengung, sich zusammenzuhalten.
„Bitte nicht“, flüstert sie kaum hörbar. Sie ist so müde davon, durchleuchtet zu werden, so sehr zu wollen, dass sie kaum noch klar sehen kann. Sie möchte ihn bitten, sie zu halten – doch sie kann nicht. Stattdessen dreht sie ihm den Rücken zu und geht zur Tür, hält sich selbst umklammert, blinzelt zu schnell.
Cael kann nicht wegsehen. „Ich kann nicht weiter so tun, als ginge es hier nur um Arbeit“, sagt er jetzt verzweifelt. „In jener Nacht in der Garage – Sirae, ich habe noch nie jemanden so gebraucht.“ Er macht einen Schritt auf sie zu, die Stimme zittert, doch sie wirbelt herum, Schmerz brennt in ihrem Blick.
„Ich bin nicht dafür gemacht“, flüstert Sirae, gebrochen. „Ich zerstöre Dinge. Ich kann nicht…“ Ihre Hände zittern. Für einen Moment wird sie fast weich, greift fast nach ihm. Aber sie tut es nicht. „Mach mich nicht zum Opfer deiner Wahl zwischen dir und meinem Überleben hier.“
Cael will ihren Namen sagen, will flehen, doch etwas in ihren Augen – ein Flehen, eine Warnung – lässt ihn zurückweichen. Sie geht ohne ein weiteres Wort, das Klicken der Tür klingt lauter, als ihre Abwesenheit es rechtfertigen sollte.
Er sinkt an den Rand seines Schreibtischs, stützt sich auf zitternde Hände. Die Krawatte fällt, vergessen. Es kostet ihn alle Kraft, ihr nicht nachzulaufen. Stattdessen tastet er in seiner Tasche nach dem Handy, der Daumen schwebt. Er nimmt eine Sprachnachricht auf, die Worte rau, unverblümt: „Ich kann nicht schlafen. Ohne dich kann ich nicht atmen. Komm zurück zu mir, Sirae. Bitte.“
In einer anderen Ecke der Stadt steht Sirae allein in ihrer Wohnung, der schwarze Rock noch an, das Haar wild, das Gesicht von Tränen gezeichnet. Sie hört seine Nachricht, hält das Telefon so fest, dass ihre Nägel Halbmonde in ihre Handfläche drücken. Sie presst das Telefon an die Brust, verzweifelt danach, seine Stimme als mehr zu spüren als nur ein Vibrieren.
Als sie nach unten schaut, merkt sie, dass ihre Hände zittern. Sie reibt sich die Augen, versteckt sich unter der Decke, doch jeder Zentimeter ihres Körpers sehnt sich nach ihm – nach seinem Mund, seinen Armen, der Sicherheit, vor der sie immer noch davonläuft.
Unterdessen sitzt Thalen zusammengesunken am Küchentisch, das Handy summt mit einer anonymen Nachricht: ICH WEISS, WAS DU GETAN HAST. Triff mich, oder alle erfahren es. Sein Magen sackt zusammen, er blickt auf, die Augen wild, als könnten die Wände ihn verraten. Panik krallt sich in seine Brust, und zum ersten Mal kann ihn kein Lachen retten.
Fortsetzung folgt…