Kapitel 5
Odessa trägt heute Abend nur scharfe Konturen: schwarze Seidenbluse, am Kragen offen, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, Lippenstift in der Farbe eines Rotweinflecks. Sie gleitet durch den Lagebesprechungsraum wie Rauch, ihre Augen gleiten über Callen mit einem Versprechen und einer Drohung zugleich. Als sie seinen Blick einfängt, schmunzelt sie und verweilt im Türrahmen, beobachtet ihn beim Hin- und Hergehen – sein Kiefer angespannt, das Hemd aus der Hose gezogen, eine Hand ständig in der Nähe seiner Krawatte, als könnte sie ihn erwürgen. Dieses schuldige, unruhige Verlangen klebt an ihm, und Odessa’s Grinsen wird breiter.
Callen meidet den Blick aller, selbst Mirelle, die an einem Schreibtisch in einer dunklen Nische sitzt und eifrig tippt. Ihr Cardigan ist fest um die Schultern gezogen, die Knöchel weiß vor Anspannung auf den Tasten. Ihre Augen sind von schlaflosen Nächten gezeichnet, doch als Callen näherkommt, öffnen sich ihre Lippen zaghaft vor Hoffnung. Er stockt, verfolgt von dem, was Odessa über ihm hängen hat; die Entschuldigung bleibt ihm wie Dornen im Hals stecken, und so bringt er nur ein brüchiges: „Schon wieder zu spät. Du solltest nach Hause gehen.“ Mirelle nickt nur, ihr Lächeln zittert, während sie erneut versucht, sein Herz zu lesen.
Am anderen Ende des Raumes sitzt Rysa mit geradem Rücken, makellosem Blazer, jede Bewegung präzise. Sie scrollt durch Gerüchte-beladene Nachrichten auf ihrem Handy, der Kiefer angespannt, während ihr eigener Name in den Meldungen auftaucht und wieder verschwindet. Odessas neueste Kampagne – digitale Flüstereien über Rysas Loyalität und Callens Untreue – schlägt an, und Callen spürt die Last davon daran, dass Rysa ihm nicht in die Augen sieht. Er will erklären, die Gründe offenlegen, warum er Odessa hereingelassen hat, doch die Scham hält ihn am Boden fest.
Mirelle, zerbrechlich und doch entschlossen, packt ihre Tasche und schleicht hinaus, während der Regen gegen die Fenster trommelt. Die Stadt liegt dunkel, als sie hinaustritt. Eine Gestalt wartet am Rand des Parkplatzes – Soren, sein Mantel dunkel und durchnässt, Haare tropfen, der Blick verschlossen. Sie zuckt zusammen, der Instinkt schreit, doch er hebt die Hände, flehend: „Bitte. Ich wollte das nicht.“ Seine Stimme bricht. Donner grollt über ihnen, und Mirelle weicht zurück ins Licht einer Straßenlaterne, die Augen wild, der Atem scharf von Erinnerungen, die sie nicht abschütteln kann.
„Du hast gelogen“, zischt sie. Jeder Muskel in ihrem Körper ist angespannt, das Herz hämmert, während Soren näherkommt.
Seine Schultern sinken, als könnte das Geständnis ihn zerbrechen. „Ich wurde gezwungen. Es fing als Auftrag an, aber—“ Er verstummt, die Augen suchen ihre, verzweifelt. „Ich wollte dir nie wehtun, Mirelle.“
Der Schmerz durchdringt sie, Wut und Sehnsucht kämpfen hinter ihren Augen. Der Sturm bricht über ihnen los. Regen peitscht herab, als Mirelles Zorn nachlässt; sie packt Soren am Kragen, zieht ihn in den Schutz einer Nische, ihre Münder treffen sich. Der Kuss ist brutal am Anfang – Strafe und Vergebung verheddert. Ihre Finger verfangen sich in seinem Hemd, ziehen ihn näher, Brust an Brust, durchnässte Stoffe kleben an zitternder Haut.
Er erwidert den Kuss mit allem, was unausgesprochen blieb, eine Hand flach an ihrer Wange, die andere hält ihre Rippen, als könnte sie zerbrechen. Mirelle zittert unter seiner Berührung, keucht, als sein Mund ihren Hals findet. Sie will ihn hassen, doch sie braucht etwas anderes – etwas Lebendiges. Sie führt seine Hand unter ihren Cardigan, Haut eisig und brennend zugleich.
Sie sinken auf den kalten Stein, der Regen verwischt die Welt um sie herum. Ihre Liebe ist verzweifelt, roh – ein Versuch, die Geschichte mit jedem Keuchen, jedem Zittern, jedem geflüsterten „Lass mich nicht los“ neu zu schreiben. Soren murmelt Entschuldigungen zwischen den Küssen; Mirelle schluckt sie hinunter, presst ihren Mund an seinen Kiefer, seinen Hals, seine Lippen, bis die Wut dem Herzschmerz weicht. Während sie gemeinsam zerbrechen, verschmelzen Schmerz und Lust – ihre Nägel graben sich in seine Schultern, seine Tränen gehen im Regen unter.
Danach sitzt Mirelle da, die Knie an die Brust gezogen, durchnässt, Mascara verschmiert, doch die Augen klarer als je zuvor. Soren sucht nach Worten, doch sie hält ihn zum Schweigen, zitternd, greift nach ihrem Handy. Sie drückt auf Aufnahme. „Erzähl mir alles“, sagt sie leise. Er nickt, die Stimme kaum hörbar, während er gesteht – Namen, Sabotage, die Tiefe seines Verrats.
Ihre Hand zittert, als sie die Aufnahme speichert. Soren bittet mit den Augen, verzweifelt nach Vergebung. Mirelle hält seinen Blick, und für einen Moment droht sie zu zerbrechen.
Zurück in der Zentrale stellt Odessa Callen im Treppenhaus. Sie drückt ihr Handy an seine Brust – ein Video pausiert, sein Gesicht im Bild, oberkörperfrei, verletzlich. „Eine Schlagzeile“, flüstert sie, die Lippen streifen sein Ohr, „und ihr beide brennt.“ Callen zuckt zusammen, hasst sie und sich selbst.
Rysa, allein im Lagebesprechungsraum, sieht, wie eine Schlagzeile über den Bildschirm flackert: „Kampagnenskandal – interner Verrat bedroht Velcroft-Team.“ Ihr Handy vibriert, eine unbekannte Nummer blinkt auf. Sie nimmt ab, den Atem anhaltend, die Augen glasig vor Angst.
Auf der regennassen Straße hält Mirelle ihr Handy fest, Sorens Geständnis leuchtet im Dunkeln, ohne zu wissen, ob sie es nutzen wird, um sich zu retten – oder alles zu zerstören.
Fortsetzung folgt…