Kapitel 4
Rysa steht allein am Rand des Presseraums, ihre schlanke Gestalt in einen dunklen Blazer gehüllt, die Ärmel hochgekrempelt, als würde sie sich auf einen unsichtbaren Angriff vorbereiten. Ihre Augen sind von Erschöpfung gerändert, doch ihre Haltung ist messerscharf, die Finger krallen sich so fest um einen Ordner, dass das Papier sich kräuselt. Sie bleibt dort, knapp außerhalb des grellen Neonlichts, beobachtet Callen, der mit hektischer Energie über das geschäftige Parkett huscht, sein Hemd zerknittert, die Haare wild. Er kann kaum ihren Blick erwidern. Der blaue Fleck des gestrigen Streits liegt zwischen ihnen – purpur, schmerzhaft und unaussprechlich.
Sie dreht sich weg, spürt, wie seine Eifersucht ihr nachjagt wie eine Wunde, die nicht heilen will. Den ganzen Tag über wühlt Rysa sich durch Krisen und Strategie-Memos, doch sie wird von Callens Blick verfolgt – hungrig, aber durchzogen von etwas Wildem und Verzweifeltem. Sie drückt es weg, härtet sich ab hinter To-do-Listen und knappen Befehlen. Die Kampagne muss Vorrang haben. Zumindest sagt sie sich das so oft, bis sie es fast glaubt.
Am Nachmittag betritt Odessa den Raum, und die Temperatur scheint zu sinken. Ihr Haar ist zu einem lockeren, lässigen Dutt gedreht, die Lippen leuchten, das maßgeschneiderte Kleid unverhohlen provokant. Mit einem amüsierten Kopfnicken mustert sie das Chaos, dann fixiert sie Callen, schleicht sich so nah heran, dass er erstarrt, die Wirbelsäule angespannt unter ihrem prüfenden Blick. Sie ist pure katzenhafte Anmut und verschmitztes Lächeln, ihr Blick verweilt eine Sekunde zu lang auf Callens Mund, bevor sie sich stattdessen Rysa zuwendet, ihr Duft wie eine Herausforderung in der Luft.
Ohne Vorwarnung drängt sie Rysa in den schwach beleuchteten Flur vor dem Kriegsraum. So nah, dass Rysa Odessas warmen, zuckersüßen Atem an ihrer Wange spürt. Odessa beugt sich vor, ihre Stimme kaum mehr als ein Schnurren: „Komisch, wie Macht die Menschen einsam macht, oder?“ Rysa versucht auszuweichen, doch Odessa blockiert sie, eine Hand an die Wand gepresst, die Nägel blutrot. „Fragst du dich manchmal, ob dich überhaupt jemand sieht – oder nur das, was du geben kannst?“ Ihre Worte sind eine langsame, schmerzvolle Berührung.
Rysas Fäuste ballen sich, Wut droht überzulaufen, doch Odessa berührt ihr Handgelenk, der Puls pocht. Die Berührung schickt einen Schock durch Rysas steife Haltung. „Lass es,“ warnt sie, kaum mehr als ein Flüstern. Odessa lächelt nur, etwas Verletztes und Wildes darin, und legt ihre Hand hinter Rysas Nacken, zieht sie vorwärts in einen Kuss, der nach Trotz schmeckt. Rysa wehrt sich, doch die Hitze, die Gefahr – der Schmerz – lösen sie auf. Sie verschmelzen in einem Rausch aus Reibung und Atem, die Münder prallen aufeinander, Hände gierig und unsicher. Es ist ein Kampf und ein Aufgeben zugleich, Rysas Stoizismus zerbricht, als Odessas Körper sich an ihren schmiegt, sie hart gegen die Wand presst, hinterlässt blaue Flecken, die wie Küsse nachhallen.
Keiner von beiden bemerkt den schlanken Schatten in der Tür – Soren, scharfer, undurchschaubarer Blick, der sich in der Dunkelheit verliert, das Telefon mit weiß-knöcheliger Faust umklammert. Seine Augen wandern von Odessas verhedderten Fingern zu Rysas zitterndem Kiefer, ein stummer Zeuge von Geheimnissen, die er nicht sicher sehen will.
Zurück im Chaos des Hauptbüros kocht Callens Unruhe über. Er fängt Odessas Blick auf, ihr Lippenstift verschmiert, die Haare zerzaust. „Probleme, Lysford?“ Ihre Stimme ist lässig, neckisch. Er antwortet mit einem Blick – ein Aufblitzen von etwas Rücksichtslosem, voller Zähne und unausgesprochener Herausforderung. Sie hebt das Kinn, nimmt an. Sie verschwinden in einem engen Lagerraum. Das Licht ist grell, unvorteilhaft, doch es kümmert keinen von beiden.
Callens Gefühle sprengen seine Fassung – Eifersucht und Trotz, ja, aber auch ein verzweifeltes Bedürfnis, irgendetwas zu spüren außer Machtlosigkeit. Odessa erwidert das, ihre Nägel kratzen über seinen Rücken, während er sie gegen die Tür presst, ihre Körper verschmelzen in einem fiebrigen, expliziten Zusammenprall. Sie lacht leise, gefährlich, wölbt sich gegen ihn, doch selbst im Höhepunkt hält Odessa ihr Telefon so, dass er es nicht sieht – nimmt auf, ihre Lippen fluchen, seinen Namen, Versprechen, die er bereuen wird.
Danach streicht sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, richtet ihr Kleid, hält ihr Telefon hoch, der Bildschirm leuchtet mit Beweisen. „Jeder hat seinen Preis, Callen,“ murmelt sie, die Augen glänzen vor Triumph und etwas, das fast Trauer ist. Er erbleicht, atmet kurz, Scham und Angst kämpfen in seinem Blick. „Was willst du?“ fragt er, die Stimme kaum sicher. Odessa lächelt nur, rätselhaft und kalt.
Woanders findet Soren Mirelle im stillen Presseraum, beide klein und erschöpft unter den gnadenlosen Deckenleuchten. Mirelles Cardigan ist eng um ihre Gestalt geschlungen, die Anspannung in den fest aufeinandergepressten Lippen. Soren sitzt ihr gegenüber, schweigt einen Moment, die Hände so fest gefaltet, dass die Knöchel glänzen. „Du musst keine Angst haben,“ sagt er leise. Sie blickt auf, die Augen weit, sucht sein Gesicht nach Lügen ab. Zwei Menschen, die sich vor Stürmen verstecken, die sie nicht kontrollieren können.
Langsam lässt Mirelle sich an ihn lehnen. Die Wärme seines Arms um ihre Schultern ist unbeholfen, zaghaft – dann hebt sie das Gesicht, und ihr Kuss ist sanft, traurig, zerbrechlich und doch wild vor Verlangen. Sorens Hand zittert auf ihrem Rücken. Für einen Moment hält die Welt den Atem an. Er will ihr fast alles sagen, gestehen, was er ist – Verräter, Lügner, mehr – doch die Worte lösen sich auf, als sie ihn erneut küsst, verzweifelt nach Trost, nach einer Zukunft, die unerreichbar scheint.
Draußen sieht Odessa zu, wie der Regen die Scheibe hinunterläuft, hält ihr Telefon wie eine Waffe und einen Fluch. Hinter ihr ist Rysas Gesicht undurchschaubar, doch ihr Kiefer zittert, eine Frage in ihren Augen, die nicht verblassen will.
Die Folge endet damit, dass Odessa eine anonyme E-Mail abschickt – das Video angehängt, Betreff: „Zur Erpressung.“ Auf dem Bildschirm flackert Callens Gesicht auf, roh und entblößt.
Fortsetzung folgt...