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Kapitel 3

Callen spürt die Energie sofort kippen, als Soren eintrifft – ein blasser, schlanker junger Mann in einem Blazer, der viel zu groß für seine schmale Statur ist, mit Augen in Schiefergrau und Haaren, die in kontrolliertem, künstlerischem Chaos fallen. Wortlos gleitet Soren in das Gewusel des Wahlkampfbüros, bewegt sich, als wolle er den Boden nicht berühren, sein Blick sammelt mit jedem Blinzeln Geheimnisse ein. Auf der anderen Seite des Raums steht Callen aufrecht, die Ärmel seines Hemdes bis zum Ellbogen hochgekrempelt, ein blauer Fleck an seinem Schlüsselbein, verborgen unter einer lässig geknoteten Krawatte. Callens Kiefer spannt sich, als Soren ihm mit einem Nicken grüßt, als wäre allein die Anwesenheit des Neuen eine Prüfung.

Rysa tritt ein – Schultern zurück, Kinn fest, dunkles Haar streng zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr marineblaues Kleid ist streng, ihre Augen noch strenger, springen von Callen zu Soren zur digitalen Uhr an der Wand, immer am Abwägen von Chancen und Risiken. Sie bemerkt Odessa erst, als die Frau praktisch neben ihr steht – ein Blitz aus weißblondem Haar, blutrote Lippen, ein Parfüm, das wie eine Herausforderung in der Luft hängt. Odessa ist größer, als sie sein müsste, in Stilettos, und ihr Anzug sitzt so eng, dass es nur Absicht sein kann, jeder Knopf lädt dazu ein, einen Moment zu lange hinzusehen.

„Frisches Blut?“ schnurrt Odessa und mustert Soren mit einem Raubtierlächeln. Sie rückt Callen auf die Pelle, ihre Hand streift seinen Ärmel, was ihn erst erstarren und dann einen Schritt zurückweichen lässt. Rysas Mund wird hart, Eifersucht flackert in ihren Augen auf, bevor sie sie unter professioneller Kühle begräbt. Odessa lächelt breiter, sieht alles.

Soren hält Odessas Blick – eine Herausforderung, eine Frage – und senkt dann den Blick, verbirgt das kleinste Zittern seiner Hand, indem er etwas in sein Handy tippt. Die Nachricht geht raus: „Alle Schwachstellen bestätigt. Nächster Schritt?“ Niemand bemerkt es, doch das Schuldgefühl brennt scharf in seinem Magen.

Später, im Hinterzimmer, dessen einziges Licht vom Neonlicht eines Automaten kommt, findet Odessa Rysa über Wahlkampfnachrichten gebeugt, ihre Finger zittern leicht. Odessa setzt sich auf den Tisch, ein Bein über das andere geschlagen, der Rock rutscht dabei unverschämt hoch. „Immer noch hinter der Arbeit verstecken, Liebling?“ Odessas Stimme ist samtig und spöttisch. Rysa schaut nicht auf.

Odessa beugt sich vor, ihr Mund nahe an Rysas Ohr. „Vermisst du es manchmal, für mehr begehrt zu werden als nur deinen Verstand?“ Die Frage trifft wie eine Ohrfeige. Rysas Kiefer spannt sich, sie antwortet nicht. Odessas Hand wandert auf Rysas Oberschenkel, Wärme strahlt durch den Stoff. Für einen langen, atemlosen Moment rührt sich keine von beiden. Dann bröckeln Rysas Abwehrmauern – Schmerz, Verlangen, das Bedürfnis, sich in jemand anderes Kontrolle zu verlieren. Sie küsst Odessa, hart und verzweifelt. Odessa lacht in den Kuss hinein, schmeckt Sieg und etwas, das sie nicht benennen kann.

Ihre Körper prallen mit einer Gewalt aufeinander, die beide erschreckt, Kleider hochgeschoben, Münder suchend, beanspruchend. Odessa reibt Rysa gegen den Tisch, eine Hand verheddert sich in ihrem Haar, die andere erkundet die Narben, die Rysa zu verbergen versucht. Rysa keucht – Wut und Verlangen verschmelzen, bis man nicht mehr sagen kann, wo das eine endet und das andere beginnt. Odessa beißt Rysa in die Lippe, eine stumme Herausforderung. Rysa antwortet mit Krallen, die Odessas Rücken zerkratzen, was ein Schaudern und ein atemloses „Du willst genauso weh tun wie ich, oder?“ hervorruft.

Unbemerkt von ihnen steht Soren im Halbdunkel, kaum atmend. Durch den schmalen Spalt der offenen Tür sieht er alles – wie Schmerz und Sehnsucht Rysas Gesicht verzerren, das Glitzern von Triumph und Verwirrung in Odessas Augen, die Verletzlichkeit, die sie zeigen, wenn sie glauben, allein zu sein. Er soll Beweise sammeln, doch alles, was er fühlt, ist ein krankhaft stechender Schmerz. Zum ersten Mal fragt er sich, ob er wirklich auf der richtigen Seite steht.

Draußen sieht Callen Odessa auftauchen, Lippenstift verschmiert, Augen wild und leuchtend. Sie wirft Callen einen wissenden Blick zu, der ihn durchdringt, und für einen kurzen Moment hasst er, wie sehr er will, was sie gerade jemand anderem genommen hat.

Rysa taucht wieder auf, schnell und undurchschaubar, doch ihre Hände zittern, während sie so tut, als würde sie texten. Odessas Duft haftet an ihrer Haut, und sie kann nicht aufhören, die Hitze, die Demütigung, die Freiheit immer wieder abzuspielen. Sie fängt Sorens Blick von der anderen Seite des Raums ein – sein Blick ist unlesbar, aber seltsam zärtlich – und für einen kurzen Moment fragt sie sich, wer er wirklich ist.

Minuten später vibriert Sorens Handy. Die Nachricht seines Auftraggebers ist knapp: „Jetzt. Los.“ Er zögert, beginnt dann, eine weitere Nachricht zu tippen, die Finger zittern.

Ohne dass sie es wissen, ist Sorens kurze Nachricht bereits unterwegs – Beweis und Geständnis, Drohung und Flehen. Das Spiel hat sich verändert.

Fortsetzung folgt...

Axiom der Sehnsucht

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