Kapitel 2
Mirelle betritt das Kampagnenbüro mit einer vorsichtigen Eleganz, ihr Blick huscht über makellose Anzüge und summende Computer. Ihre blasse Bluse fällt locker über schmale Schultern, das Haar zu einem tiefen Knoten gedreht, an dem sie nervös zupft. Ihr Lächeln blitzt auf – unsicher, hoffnungsvoll –, als Callen Lysford, tadellos in seinem blauen Hemd und der eng geschnittenen Hose, ihr die Hand reicht. Sein Griff ist warm, achtet darauf, nicht zu erdrücken, und er hält einen Moment zu lange fest, bevor er loslässt. Er mustert sie – sieht die Angst, die sich hinter ihren Augen verbirgt – und ein Schutzinstinkt flackert über sein Gesicht, bevor er ihn mit einem geübten, professionellen Lächeln verbirgt.
Aus der Ferne beobachtet Rysa Eirian. Sie lehnt an einem Kopierer, die Arme verschränkt, die dunkle Hose sitzt scharf an ihrer Figur, der Mund zu einer undurchschaubaren Linie gepresst. Rysas Ausstrahlung ist pure kontrollierte Kraft – jede Bewegung überlegt, jedes Wort gewogen. Mit einem spitzen Unterton tritt sie näher: „Du musst Mirelle sein. Ich bin Rysa. Sparen wir uns das Geplänkel und bringen dich auf den neuesten Stand.“ Ihr Blick wandert von Mirelle zu Callen und fängt den feinen Spannungsfaden ein, der schon zwischen ihnen liegt.
Callen bleibt in der Nähe, bietet Mirelle zögernd Zuspruch, während Rysa vorausgeht und erwartet, dass Mirelle mithält. Mirelles Schuhe quietschen. Sie stammelt Entschuldigungen, die Hände zittern, während sie ihr Notizbuch umklammert. Für einen Moment wird Rysa weicher, senkt die Stimme, als sie am Fenster stehen: „Du bist nicht die Einzige, die neu anfängt.“ Mirelle erwidert ihren Blick – ein langsames, unsicheres Lächeln huscht über ihr Gesicht; zwei Frauen, beide von der Vergangenheit gezeichnet, erkennen die Bruchstücke des Schmerzes im anderen.
Das Mittagessen bringt eine stille Waffenruhe. Rysa schlägt einen Kaffee vor, und sie schleichen sich in eine ruhige Ecke eines Cafés. Mirelle rührt mit zitternden Händen in ihrem Getränk, die Ärmel über die Knöchel gezogen, die Augen auf den Dampf gerichtet. Rysa wartet. Schließlich bricht Mirelles Stimme, leise wie ein Geständnis: „Ich habe jemanden verlassen, der mir wehgetan hat. Ich kann… nirgendwo wirklich dazugehören.“ Rysas Kiefer spannt sich, ein Schatten legt sich in ihren Blick. „Du schuldest niemandem deinen Schmerz.“ Mirelle nickt, Tränen glänzen, ohne zu fallen. Die Verletzlichkeit zwischen ihnen ist fast ein Geheimnis für sich.
Callen taucht in der Tür auf, die Stimme zu hell – fast zu laut. „Alles in Ordnung bei euch?“ Seine Augen springen von Mirelles geröteten Wangen zu Rysas verschlossener Stille. Rysa richtet sich abrupt auf; der Zauber ist gebrochen. Eifersucht prickelt in Callens Blick, und Mirelle spürt es, ihr Herz flattert in der Brust.
Der Abend senkt sich schwer. Callen besteht darauf, Mirelle nach Hause zu begleiten, sein Blazer lässig über den Arm geworfen, vom Wind zerzaustes Haar. Sie gehen dicht beieinander, Mirelle klammert sich an ihre Tasche wie an einen Rettungsanker. Ihre Schritte hallen. Mirelles Stimme ist angespannt, Worte stürzen heraus – die Angst, das Weglaufen, das Verlangen, endlich Sicherheit zu spüren. Callen hört zu, die Hände in den Taschen, die Augen weich und suchend.
Vor ihrer Wohnungstür wird die Luft schwer vor Verletzlichkeit. Mirelle zögert, die Lippen leicht geöffnet, und der Abstand zwischen ihnen schwindet. Callens Hand findet ihre Wange, der Daumen streicht eine entkommene Träne weg. „Bei mir bist du sicher“, flüstert er. Mirelle lehnt sich vor – eine Frage, ein Flehen – und Callen antwortet mit seinem Mund, langsam und ehrfürchtig. Kleidung fällt zwischen keuchenden Geständnissen und zitterndem Lachen. Sie bewegen sich im Einklang – ihre Verzweiflung trifft auf sein Verlangen, Haut glüht, Hände zeichnen die Geschichten nach, die sie nie zu erzählen wagten.
Danach sitzt Mirelle in ein Laken gehüllt, fährt zögernd mit den Fingern über Callens Schlüsselbein. „Bleibst du?“ haucht sie, Hoffnung und Angst ineinander verstrickt. Er nickt wortlos, zieht sie nah an sich, vergräbt sein Gesicht in ihrem Haar. In der Stille flackert etwas Zerbrechliches und Neues auf – Vertrauen vielleicht, oder der waghalsige Wunsch nach einer Zukunft, an die keiner so recht glaubt.
Als Callen einschläft, schleicht Mirelle zur Tür. Ein Zettel steckt darunter, die Tinte verschmiert: DU KANNST DICH NICHT FÜR IMMER VERSTECKEN. WÄHLE DEINE SEITE. Ihre Hände zittern so heftig, dass der Zettel zu Boden fällt. Die Wärme, die sie vorhin gefunden hatte, entweicht, ersetzt durch kalte Angst, die ihr den Rücken hinunterkriecht.
Fortsetzung folgt...