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Kapitel 8

Tavians Hände zittern, als er den Zugangscode eingibt, die Aufzugtüren gleiten mit einem leisen Seufzer auf. Seine Krawatte ist gelockert, der Kragen sitzt schief, der Kiefer von einem ungepflegten Stoppelbart beschattet. Die Neonröhren flackern über ihm und zeichnen scharfe Schatten auf sein angespanntes Gesicht. Bei jeder Etage wirft er einen Blick auf sein Spiegelbild in den verspiegelten Wänden, das Herz pocht – und zum tausendsten Mal fragt er sich, ob Lyska wartet oder längst gegangen ist.

Als der Aufzug mit einem Signalton auf dem Dach hält, breitet sich die Stadt vor ihnen aus, verschleiert vom Dunst der Morgendämmerung. Lyska steht am Rand, der Wind zerrt an ihrem schwarzen Blazer, das Haar wild und ungebändigt. Etwas Gequältes liegt in der Haltung ihrer Schultern, doch sie hält das Kinn hoch, die Lippen in der Farbe unverzeihlicher Entscheidungen geschminkt. Sie dreht sich um, als Tavians Schritte auf dem Kies knirschen. Ihre Mascara ist verschmiert, die Augen gerötet – eine Maske, die kaum noch hält.

Sie sagt nicht seinen Namen. Stattdessen lacht sie – ein brüchiges, trotziges Lachen. „Du bist wirklich hier.“ Die Worte hängen zwischen ihnen, schwer von Erleichterung und Vorwurf.

Er klingt erschöpft, die Stimme bricht. „Wo sonst sollte ich sein?“ Er will nach ihr greifen, zögert aber, die Hände ballen sich an den Seiten. Scham und Verlangen kämpfen in seinem Gesicht; die Erinnerung an alles, was sie überstanden haben, spiegelt sich in seinem Blick – roh und ungeschützt.

Lyska tritt vor, zieht den Blazer von den Schultern – nackte Haut, von der morgendlichen Kälte mit Gänsehaut überzogen. Sie starrt ihn an, fordert ihn heraus, wegzusehen. „Es ist vorbei. Glasswell. Dersh. Mein ganzes verdammtes Leben. Ich weiß nicht, was jetzt kommt.“ Ihr Lachen bricht, ein Schaudern läuft durch sie, der Mund zittert.

Endlich greift Tavian nach ihr, die Finger fahren unsicher durch ihr Haar. Ihre Körper finden sich – unbeholfen, verzweifelt, als hätten sie Angst, dass diese Berührung die letzte sein könnte. Seine Hände gleiten ihre Arme hinauf, ziehen sie an sich, und sie vergräbt ihr Gesicht in seinem Nacken, der Atem warm und rau. Die Stadt leuchtet hinter ihr, die Skyline spiegelt sich in ihren feuchten Wimpern.

Er küsst sie, zuerst langsam, dann intensiver – unterdrückt ein Schluchzen, während ihre Hände an seinem Hemd zupfen, den Stoff packen, als könnten sie ihn so zusammenhalten. „Bleib,“ flüstert er an ihren Mund, die Stimme flehend. „Wir könnten weglaufen. Oder kämpfen. Oder – mir egal. Lass mich einfach nicht los.“

Sie erwidert den Kuss, wild und hungrig, Tränen laufen ihr über die Wangen, während sie erneut lacht, halb wahnsinnig vor Erleichterung und Verzweiflung. „Ich will nicht mehr allein sein,“ keucht sie. Sie sinken auf das Dach, der Asphalt kratzt durch dünne Stoffhosen und nackte Knie, die Körper verschlungen in einer letzten, wilden Umarmung. Ihre Bewegungen sind hektisch, Kleidung wird zur Seite geschoben, Haut trifft auf Haut. Jede Berührung ist Entschuldigung und Versprechen zugleich – Tavians Finger zittern, während sie die blauen Flecken an ihren Oberschenkeln nachzeichnen, Lyskas Nägel graben sich in seine Schultern, ziehen ihn näher, immer näher.

Unten heulen Sirenen – Glasswells Untergang ein fernes Dröhnen – doch hier sind sie unantastbar, verloren ineinander, schreien und klammern sich, als könnte die Welt jeden Moment zerbrechen.

Irgendwo in den unteren Etagen beobachtet Aelira hinter einer Glaswand. Ihr Sakko hängt über dem Arm, das Haar zerzaust von Erschöpfung, die Augen von Unsicherheit umrandet. Sie bleibt stehen, eine Hand an die Scheibe gelegt, das Gesicht wird weich, als sie Tavian und Lyska sieht, ineinander verschlungen im verletzten Licht. Stolz liegt in ihrem Lächeln, und etwas Einsameres – ein stiller Abschied, als sie sich abwendet, die Schultern gerade, eine einzelne Träne zieht eine Spur über ihre Wange.

Auf dem Dach kriecht die Morgendämmerung über Tavian und Lyskas verschlungene Körper. Sie halten einander lange, nachdem das erste Licht ihre Haut berührt hat, atmen die Stille ein, die Herzen schlagen eine Frage, die keiner zu beantworten wagt.

Endlich murmelt Lyska: „Was passiert jetzt?“ Ihre Finger verheddern sich in seinen. Tavian schüttelt nur den Kopf, die Stirn an ihre gedrückt, als könnte die Antwort im Raum zwischen den Herzschlägen geflüstert werden.

Die Stadt breitet sich unter ihnen aus, verwundet und hell. Sie rühren sich nicht.

Impulse: Unter dem Glas

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