Kapitel 1
Tavians Rücken knallt hart gegen kaltes Metall. Sein Atem stockt, beschlägt einen schmalen Streifen Glas. Lyska ist nur Zentimeter von ihm entfernt, ihr dunkles Haar fällt wie ein Vorhang, während sie ihre Handfläche neben seinem Kopf aufsetzt – das grelle LED-Licht im Pausenraum spiegelt sich in ihren Ringen. Sie beobachtet ihn, die Lippen leicht geöffnet zu einem schiefen, raubtierhaften Lächeln. Ihr taillierter Blazer ist am Kragen geöffnet, ihr nacktes Schlüsselbein glänzt leicht vom Schweiß; die klare Linie ihrer schwarzen Hose verschwindet unter dem Saum ihres Hemdes, als sie sich vorbeugt, der Duft von Zitrus und Kaffee wirbelt zwischen ihnen. Sie lässt ihren Blick über seinen stoppelig gewordenen Kiefer bis zu seinen weit aufgerissenen, unsicheren Augen gleiten.
Er weiß nicht, wohin er schauen soll: auf ihren Mund, ihre Hände, das gefährliche Funkeln in ihrem Blick. Seine Krawatte – gerade von ihr gelöst – hängt schief über der Brust seines zerknitterten Oxford-Hemdes. Ihre Finger gleiten unter sein Shirt, streifen über seine Rippen; sein Atem stockt, ein scharfer, überraschter Laut. Hitze steigt ihm ins Gesicht, sein Puls hämmert in seinem Hals. Für einen kurzen Moment droht die Scham ihn zu verschlingen – noch nie wurde er so offen berührt, nie unter fremden Augen, nie von jemandem wie ihr. Doch ihr Daumen zeichnet langsame Kreise auf seiner Haut, und seine Nerven schmelzen unter ihrer Berührung dahin.
„Angst, Frendell?“ flüstert sie, ihre Stimme zugleich scharf und sanft. Ihre Nägel streifen die blasse Narbe knapp unter seinen Rippen. Ein Zittern durchfährt seinen Körper, halb Vorfreude, halb Furcht. Sie ist so nah, dass er ihren Atem an seiner Wange spürt, die Berührung ihrer Lippen, die kaum seine Kieferkante streifen – absichtlich, kaum spürbar, zurückhaltend. Trotzdem hebt er zögernd die Hand zu ihrer Taille; sie lässt es zu, nur für einen Moment, ihre eigenen Finger ziehen sich fest an seiner Seite zusammen.
Er will antworten – will klug klingen, nicht wie Beute – doch seine Stimme versagt. Er nickt kaum merklich, die Kiefermuskeln angespannt. Lyska lacht, tief und gefährlich, und in ihren Augen flackert etwas Sanfteres auf, bevor sie abrupt zurückweicht und eine Spur von Hitze in der Luft zwischen ihnen zurücklässt.
Die Tür zum Pausenraum schwingt hinter ihr zu. Tavian steht wie erstarrt da, das Hemd verrutscht, die Haut gerötet, wo ihre Hände verweilt hatten. Stimmen aus dem Flur durchschneiden die Stille – Viessa, mit knallrotem Lippenstift und nervösem Geplapper, schlüpft herein, hebt eine Augenbraue in Tavian Richtung. Sie nimmt seinen zerzausten Zustand wahr, grinst wissend und wirft ihm eine Dose Cola zu. „Harter erster Tag?“ neckt sie, ihr Blick scharf, aber nicht unfreundlich.
Er zwingt sich zu einem Lachen, steckt die zitternden Hände in die Taschen. Er fühlt sich roh, bloßgestellt. Viessa rückt näher, die langen Ärmel ihres Pullovers hochgeschoben, Armbänder klimpern, als sie sich verschwörerisch vorbeugt. „Lass dich nicht von ihr auffressen“, sagt sie im Flüsterton, die Augen zum Türrahmen wandernd, hinter dem Lyska verschwunden ist.
Tavian versucht einen Scherz, doch sein Lächeln wackelt. Selbst die vertraute Wärme von Viessas Nähe reicht nicht, um ihn zu beruhigen. Die Erinnerung an Lyskas Stimme – ihre Lippen so nah, ihre Drohung und ihr Versprechen ineinander verwebt – durchschneidet jedes Wort.
Später, im Herrenklo, starrt Tavian sein eigenes Spiegelbild an, der Kragen schief, die Wangen rosa. Er streicht mit dem Daumen über die kaum sichtbare Narbe, die Lyska entdeckt hatte, sucht nach einem Funken Fassung. Mit zitternden Fingern scrollt er durch sein Handy, löscht eine Nachricht – mit einem Betreff, den niemand sehen darf. Das Risiko, die Scham, das nachklingende Verlangen: alles steht geschrieben in der Weitung seiner Pupillen, im Schauer, der ihn durchfährt, wenn er sich an die Hitze ihrer Hand und daran erinnert, wie nah sie ihn hatte kommen lassen.
Als er hinaustritt, wartet Lyska im Flur, die Arme verschränkt, der Mund zu einer Herausforderung gespannt. Sie mustert ihn, ihr Blick gleitet zu der offenen Krawatte, zu der Verletzlichkeit in seinem Gesicht. „Ich mag, wie du aussiehst, wenn du in die Enge getrieben wirst“, murmelt sie, kaum laut genug, dass er es hört.
Er errötet erneut, doch diesmal weicht er nicht zurück. Für einen atemlosen Moment rührt sich keiner von beiden.
Der Rest des Tages verfliegt in einem Wirbel aus dringenden Meetings und verstohlenen Blicken. Flüstern verfolgt Tavian durch die Großraumbüros – seine Vergangenheit, seine Familie, Gerüchte, die wie statische Störgeräusche stechen. Viessas Lachen und ihre verschmitzten Blicke lenken ihn fast ab, doch jedes Mal, wenn er Lyska sieht, fangen ihre Augen seine, die Welt schrumpft auf ihre private Spannung zusammen.
Als die Dämmerung fällt, sitzt Tavian allein, das Leuchten der Stadtlichter sickert durch getöntes Glas. Sein Handy vibriert. Eine Nachricht: Lyska.
Triff mich auf dem Dach. Mitternacht. Niemand sonst.
Ein Schauer, ein Rausch durchfährt ihn – gleichermaßen Hunger und Furcht. Er zögert, greift dann nach seiner Jacke und macht sich auf zum Treppenhaus. Oben auf dem Dach zerrt der Wind an seinem Hemd. Er tritt ins Mondlicht, das Herz hämmert. Doch er ist nicht allein; eine Gestalt wartet im Schatten – größer, regungslos, die Augen brennen durch die Dunkelheit. Nicht Lyska.
Sein Herz schlägt gegen seine Rippen, als ihm klar wird, wer es ist.
Fortsetzung folgt…