Kapitel 1
Vessas Lachen – voll, ungestüm – hallt von den Betonwänden des Dunkelraums wider, springt zwischen Schatten und rot getöntem Licht hin und her. Ihr Lippenstift verschmiert entlang der Kante des Kiefers ihres Kunden, ein tiefroter Streifen, während sie ihn gegen den Klapptisch presst, die Kameraschlaufe locker um ein Handgelenk hängend. Seine Krawatte ist schon offen, das Hemd zerknittert, die Hände verheddern sich im Stoff ihres Kleides. Ihr Atem ist scharf, die Haut gerötet vom Rausch der Kontrolle; ihre Körper berühren sich heiß, hektisch, ihr Oberschenkel schiebt sich an seine Hüfte. Sie beißt ihm in die Unterlippe, dringlich, bedürftig, als könnte sie ihn verschlingen oder in ihm verschwinden – nur um zu beweisen, dass sie überhaupt noch etwas fühlen kann.
Sie lässt ihn seine Hand unter den Saum ihres Kleides gleiten, ihr Puls stolpert, doch ihre eigenen Finger verkrampfen sich im Kragen seines Hemdes – als könnte sie ihn oder sich selbst festhalten, wenn sie nur fest genug zupackt. Er stöhnt ihren Namen, verzweifelt, doch sie antwortet nicht – vergräbt ihr Gesicht an seinem Hals, riecht Schweiß und Kölnischwasser und etwas Saures darunter. Sein Mund findet ihr Ohr; ihre Hüften stoßen vor, suchen Reibung, Lust, Ablenkung von dem nagenden Schmerz unter ihrer Brust. Sie erstarrt, zittert, als er sie umfasst, der Moment verschwimmt in einem Rausch aus Gefühl. Sie reibt sich an ihm – hungrig, kühn, schon jetzt bereuend, wie leer es unter ihren Rippen wird.
Danach richtet sie sich auf, atemlos, glättet mit zitternden Händen das wilde Durcheinander ihres dunklen Haars. Ihr Kleid klebt an feuchter Haut; sie wischt den Lippenstift von ihrem Kinn, schweigt, während der Kunde nach Worten tastet, dann nach seiner Hose. Sie schenkt ihm ein langsames, geübtes Lächeln – ein Aufblitzen von Zähnen, keine Wärme in ihren Augen. „Du weißt, wie das läuft“, sagt sie, die Stimme leise, fast müde. Er nickt; Scham färbt seine Wangen. Sie macht ein weiteres Foto, fängt ihn in seinem zerstörerischsten Moment ein, dann geleitet sie ihn hinaus in den fluoreszierend hellen Flur. Allein lehnt Vessa schwer auf dem Tisch, die Kiefermuskeln angespannt, ihr Spiegelbild zersplittert in einer Glasscheibe.
Weiter den Flur hinunter sackt Cyran an seinem Schreibtisch zusammen, die Finger folgen gedankenverloren Linien auf einem Entwurf, den er kaum wahrnimmt. Er ist weich gezeichnet, groß, aber irgendwie fehl am Platz in seinem eigenen Körper: die Ärmel hochgekrempelt, um die schlanken Unterarme freizulegen, die Knöchel rau vom nervösen Knibbeln. Unordentliches blondes Haar fällt ihm in die Stirn; unter den haselnussbraunen Augen liegt eine müde, bläuliche Schattierung. Sein Handy vibriert – eine Nachricht, kein Absender. Sein Atem stockt, der Puls rast. Du glaubst, du bist sicher? Nicht nach dem, was du getan hast. Er blinzelt heftig, die Hände umklammern das Telefon so fest, dass die Knöchel weiß werden. Er wirft einen Blick zur Tür, sucht nach Zeugen, steckt das Handy mit zitternden Fingern in die Tasche.
Plötzlich steht er auf, der Stuhl kratzend auf dem Boden, und geht zum Dunkelraum, angezogen vom unverkennbaren Klang von Vessas Lachen, das noch in der geladenen Luft hängt. Er hält draußen inne, die Brust eng, späht durch den schmalen Spalt der offenen Tür. Für einen Herzschlag erwischt er sie – das Haar wild, die Mascara verschmiert, die Hände an ihr Gesicht gepresst, als versuche sie, sich zusammenzuhalten. Ihre Blicke treffen sich im Glas, ihr Blick flammt auf, eine Mischung aus Trotz und Erschöpfung.
Vessa lässt die Hände sinken, richtet die Wirbelsäule auf, das Kinn herausfordernd erhoben. „Verlaufen, Cyran?“ zieht sie sich in einem Ton, der Leichtigkeit vortäuschen will, die Schultern unter dem lockeren Kleid gerade. Doch ihre Augen sind leer, umrandet von Geheimnissen. Er zögert, die Lippen leicht geöffnet, Sorge flackert über sein Gesicht. „Alles okay?“ fragt er, fast ein Flüstern, als könnte zu lautes Sprechen sie zerbrechen.
Sie lacht wieder, spröde. „Bestens. Nur Überstunden.“ Sie tritt an ihm vorbei, zu nah – er fängt den schwachen Hauch ihres Parfums, Schweiß und die bittere Note von Reue ein. Seine Hand schwebt, als wolle er sie greifen, zieht sich dann aber unsicher zurück. Der Moment dehnt sich – geladen, unbehaglich – bevor sie den Flur hinunter verschwindet und er ihr nachstarrt. Instinktiv weiß er, dass sie zerfällt, und es erschreckt ihn, wie sehr er sie wieder zusammensetzen will.
Er kehrt an seinen Schreibtisch zurück, ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut. Sein Handy vibriert erneut, diesmal schärfer. Du glaubst, du kannst sie retten? Versuch’s, und ihr werdet beide verbrennen.
Die Worte schneiden tiefer als jeder Schlag. Cyrans Atem stockt. Im ganzen Büro rollt Vessa ihre Kameratasche ins Freie, das Gesicht steinern, der Mund zu einer dünnen, undurchdringlichen Linie gepresst. Hinter ihr bewegt sich ein Schatten – jemand, der zusieht, ungesehen.
Fortsetzung folgt...