Kapitel 1
Caels Hände stützen sich auf das eisige Metallgeländer, die Lichter der Stadt verschmieren golden über seine Knöchel. Die Nachtluft ist scharf, sein schwarzes Hemd klebt enger an seiner Brust, der Kragen offen, die Krawatte vergessen und locker herabhängend. Die harten Konturen seines Kiefers liegen im Schatten; er wirkt fast königlich, doch ein Zittern verrät sich in den Fingern, die sich in den Stahl krallen. Sirae tritt hinter ihn, die Absätze klingen klar auf dem Beton, ein maßgeschneiderter dunkelblauer Anzug umschmeichelt ihre Kurven mit müheloser Macht. Ihr dunkles Haar ist hochgesteckt – praktisch, perfekt – doch eine einzelne Strähne mildert die Kante ihres Kiefers, umrahmt ihren Mund. Als sie ausatmet, klingt es, als würde sie ein Geheimnis in sich verschließen.
Er spürt sie, bevor er sich umdreht, die Hitze ihrer Nähe prickelt seinen Rücken entlang. „Versteckst du dich auch?“ murmelt er, ohne sie anzusehen.
Sie ignoriert die Frage, rückt näher, bis der Saum ihres Rocks seine Oberschenkel streift. Ihre Augen sind wie geschliffenes Glas, dunkel und prüfend, wandern von seinem Mund zu seinen Händen. „Da unten herrscht Chaos. Du sahst aus, als bräuchtest du Rettung.“ Ihr Lächeln ist trocken, doch es erreicht nicht ihre Augen. Unter dem Neonlicht zittert ihre Lippe – klein, fast unmerklich, doch verräterisch.
„Nicht das erste Mal, dass ich auf diesem Dach in die Enge getrieben werde“, sagt er leiser. Er zieht sich nicht zurück, als sie sich vorbeugt, ihre Hand streift sein Handgelenk, die Finger drücken eine stumme Frage in seinen Puls. Die Berührung ist zuerst zufällig, dann absichtlich – ihre Haut warm gegen seine. Für einen Moment atmen sie gemeinsam, das elektrische Summen der Stadt klingt wie ein ferner Widerhall.
Sie ist nah genug, dass er die Umrisse ihrer Sommersprossen erkennen kann, den leichten Röte-Schimmer an ihrem Hals sieht. Sein Blick verweilt. „Sirae“, flüstert er, als wäre ihr Name gefährlich.
Ihre Antwort ist eine Herausforderung – ein halbes Lächeln, die Zunge fährt heraus, um ihre Unterlippe zu befeuchten. „Willst du was, Cael?“ Eine Provokation, scharf wie ein Messer und doch eine sanfte Einladung.
Unten kracht Gelächter, Türen schlagen zu. Sie verkrampft ihren Griff um sein Handgelenk, zieht ihn zu sich, sodass er ihr ganz zugewandt ist, und in der geladenen Stille schrumpft die Welt auf ihre Münder, das flache Keuchen. Ihre andere Hand gleitet an seiner Krawatte hoch, zieht ihn langsam und bestimmt zu sich – seine Einwände lösen sich ungesagt auf, als ihre Lippen seine fordern, ein Kuss zugleich inszeniert und brennend: ihr Mund beharrlich, leicht geöffnet, der Atem vermischt sich mit seinem. Ihre Zähne streifen seine Unterlippe. Er erzittert, hilflos, ihre Finger verfangen sich in seinem Haar, halten ihn einen Moment länger fest, als nötig.
Jemand ruft aus dem Treppenhaus – CEO Amaya, Absätze klackern, Stimme scharf und erwartungsvoll. Sirae löst den Kuss, hält ihre Körper aber eng zusammen, die Hand flach auf seiner Brust, spürt das wilde Pochen seines Herzens. Sie wirft ihm einen warnenden Blick zu, als Amaya das Dach betritt.
Der Blick der CEO ist räuberisch, entgeht nichts. „Gut. Ihr beiden seid hier.“ Sie umkreist sie, die Augen schweifen zu Siraes zerzaustem Haar, Caels geöffneten Lippen. „Ihr seht… vertraut aus. Das Bild brauche ich. Diese Firma kann keinen weiteren Skandal verkraften.“ Ihre Worte sind mit Stahl geschärft.
Sirae zeigt keine Schwäche; stattdessen schmiegt sie sich an Caels Seite, ihre Haltung geschmeidig und katzenhaft. „Wir regeln das.“ Ihre Stimme ist samtig, doch ihre Finger graben sich halbmondförmig in seine Hüfte.
Caels Gedanken wirbeln; er fängt sein eigenes Spiegelbild in einem fernen Fenster ein – sein Hemd zerknittert, die Wangen gerötet, die Pupillen weit aufgerissen von etwas, das er nicht benennen will. Er zwingt sich zu einer Ruhe, die er nicht fühlt. „Wir werden eine Stellungnahme abgeben, wenn du eine willst“, sagt er, die Stimme unsicher.
Amaya nickt, zufrieden, aber wachsam. „Beweist es.“ Ihre Augen verengen sich – eine Königin, die eine Vorstellung fordert.
Sirae hebt ihr Gesicht, streicht langsam und bewusst mit den Lippen über Caels Kiefer, ihr Atem heiß an seinem Ohr. „Spiel mit, Liron“, flüstert sie, so leise, dass nur er es hört. Dann treffen ihre Lippen sich zum zweiten Mal – sanfter, aber nicht weniger entfesselnd. Er schmeckt Verlangen, Verweigerung, die Süße des Risikos. Als sie sich zurückzieht, zittert ihre Haltung, eine Röte, die sich nicht vortäuschen lässt.
Das Nicken der CEO ist knapp, als sie sich abwendet, doch in ihrem Gefolge knistert die Luft. Cael beobachtet Sirae, sucht in ihren Augen nach Wahrheit oder Täuschung, doch alles, was er sieht, ist sein eigenes Panikgefühl und Verlangen, das ihm zurückspiegelt.
Er öffnet den Mund – will fragen, was jetzt passiert – doch Sirae geht schon weg, die Wirbelsäule kerzengerade, der Nachhall ihrer Berührung in seinen Knochen. Unten summt das Büro – wortlose Gerüchte vermehren sich, der erste Dominostein kippt.
Er bleibt allein zurück, atemlos und zerrissen, der Geschmack von ihr noch auf seinen Lippen, während die Stadt sich dreht und die Zukunft der Firma – und seine eigene – droht, ihm unter den Füßen wegzurutschen.
Fortsetzung folgt...