Kapitel 8
Callen lehnt sich an die kühle Kante des Presseraums, der Anzug zerknittert, die Krawatte locker, die Hände verkrampft, als wollte er Geduld aus seinen Knochen wringen. Das Deckenlicht wirft scharfe Schatten über sein Kinn, hebt die dunklen Mulden unter seinen Augen hervor. Er blickt auf, als die Tür klickt, ein schwacher Funke Hoffnung flackert auf und erlischt, bevor er richtig entstehen kann – bis Rysa eintritt, das Haar zurückgestrichen, die marineblaue Bluse spannt über ihren angespannten Schultern, die Lippen zu einer dünnen Linie der Entschlossenheit gepresst.
Sie zögert nur kurz, gerade lang genug, damit er alles liest, was sie nicht sagt. Ihre Hände ballen sich an den Seiten, die Nägel graben sich in die Handflächen. Callen schenkt ihr ein schiefes, bitteres Lächeln. „Du konntest auch nicht wegbleiben?“ Die Worte sind rau, halb Herausforderung, ganz Flehen.
Rysas Lachen ist leise und unsicher, sie überbrückt die Distanz mit gemessenen Schritten, ihre Stiefel hallen auf dem Fliesenboden. „Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden“, murmelt sie, die Stimme bricht am letzten Wort – ihre Augen huschen über Callens Mund, verweilen auf der blauen Stelle an seinem Schlüsselbein, die sie einst hinterlassen hat.
Sein Kiefer spannt sich. „War das alles?“ Jetzt sind sie nur noch Zentimeter voneinander entfernt, er atmet sie ein, Hunger und Entschuldigung strahlen von ihm ab. Sie hebt das Kinn, der Kiefer hart, doch ihr Blick wird weich, als er die Hand hebt, zitternd, um eine lose Haarsträhne hinter ihr Ohr zu streichen.
„Es gibt nichts mehr zu reparieren“, flüstert Rysa, doch sie tritt nicht zurück. Stattdessen findet ihre Hand den Nacken von Callen und zieht ihn zu sich herunter. Ihre Münder treffen sich – zuerst sanft, zögernd, jede Bewegung schwer von Wochen voller Verlangen und Reue. Callens Hände gleiten an ihre Taille, verankern sie, geben beiden Halt, während der Kuss tiefer wird, roh und verzweifelt.
Rysa ballt ihre Bluse in den Händen, hält sich zusammen, während sie sich in seinen Armen auflöst. Callens Berührung wird hektisch, er fährt die Linien ihres Rückens entlang, prägt sich ein, wie ihr Körper sich zu ihm wölbt – als hätte sie nach Vergebung, Nähe, nach etwas Verlorenem gesehnt. Der Kuss löst sich nur, damit sie ein Geständnis gegen seinen Mund hauchen kann: „Ich wollte dich hassen.“
Er schüttelt den Kopf, die Stimme rau. „Tu es nicht. Ich würde lieber wollen, dass du mich wieder und wieder zerbrichst, als dass du verschwindest.“
Sie legt die Stirn an seine, atmet durch Tränen, die sie nicht fallen lässt. Callens Daumen zeichnet langsame Kreise über ihre Hüfte – ruhig, ehrfürchtig. Als sie sich schließlich löst, ist ihr Gesicht offen wie nie zuvor – Trauer, Hoffnung und etwas Wildes, das fast wie Erleichterung wirkt.
Am anderen Ende der Stadt steht Odessa im Schatten eines Taxis, die roten Lippen zu einem unsicheren halben Lächeln geöffnet, während sie eine Sprachnachricht abschickt: „Ich hab genug vom Weglaufen, Rysa. Vielleicht reicht das ja.“
Mirelle, den Mantel fest um sich geschlungen, verweilt vor einem Café, die Wangen gerötet von Kälte und Abschiedsschmerz. Soren steht vor ihr, bittende Augen. Sie lässt die Stille zwischen ihnen wachsen, das Herz hämmert. Als er nach ihrer Hand greift, lässt sie seine Finger entgleiten. „Ich kann nicht“, sagt sie leise, doch ihre Stimme bleibt fest. Sie dreht sich um, richtet die Wirbelsäule mit jedem Schritt, die Schultern endlich frei.
Im leeren Presseraum streicht Callen mit dem Daumen über Rysas Wange, Ehrfurcht mischt sich mit Trauer. „Fangen wir nochmal von vorne an?“ fragt er, wagt kaum zu hoffen.
Sie fährt mit dem Finger über die Narbe an seiner Schläfe, ein kleines, wehmütiges Lächeln spielt um ihre Lippen. „Vielleicht irgendwann“, flüstert sie und neigt sich, um einen letzten Kuss zu drücken – sanft, unwiderruflich – auf seine Lippen.
Der Morgen dämmert blass und unsicher in den Raum, während Rysa sich davonmacht, Callen allein und verändert zurücklassend, die Sehnsucht leise in seiner Brust. Mirelle tritt hinaus in den neuen Tag – allein, ohne Eile, die Welt weit offen vor ihr.