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Kapitel 1

Callen steht vor ihr, die Hände auf den Schreibtisch gestützt, die Knöchel weiß vor Anspannung im grellen Licht des Laptopbildschirms. Sein dunkler Anzugjackett hängt offen, die Krawatte sitzt schief, und die frühe Stunde zeichnet dunkle Schatten unter seinen unruhigen Augen. Rysa steht ihm gegenüber, die Bluse am Kragen straff, der Kiefer angespannt, die Arme verschränkt mit einer kontrollierten Präzision, die die Hitze in ihrem Blick verrät. Das einzige Geräusch ist das Summen entfernter Drucker und ihr keuchender Atem – bis sie sich vorbeugt, die Stimme ein leises, herausforderndes Flüstern.

„Du drehst die Zahlen, nicht die Wahrheit,“ murmelt Rysa, ihre Lippen so nah, dass er den Geschmack von Spearmint und Kaffee schmeckt. Die Spannung knistert – Callens Antwort ist ein spöttisches Lächeln, doch sein Puls verrät ihn, rast wie ein Eichhörnchen unter seiner Haut. Er geht um den Schreibtisch herum. Ihre Schultern verhärten sich. „Die Realität verkauft sich nicht immer,“ kontert er, wagt es, sie zum Blinzeln zu bringen.

Ihre Augen blitzen – Warnung und Herausforderung zugleich. Als er die Hand ausstreckt, weicht sie nicht zurück. Seine Hand findet die Kurve ihrer Taille, die Finger zögern auf dem starrem Baumwollstoff, suchen nach etwas Weicherem. Rysas Atem stockt; ihre Maske bröckelt. Für einen Herzschlag verharren sie, gefangen in der geladenen Luft zwischen dem, was passieren sollte, und dem, was verzweifelt geschehen will.

Er küsst sie hart, ihre Münder treffen sich mit aufgestauter Sehnsucht, Monate der Zurückhaltung brechen in diesem Moment. Der Schreibtisch drückt in ihren Rücken, während seine Hände unter ihr Blazer gleiten, die Dringlichkeit lässt sie keuchen. Sie ballt seine Hemdknöpfe, zieht ihn näher, ihre Körper verschmelzen. Ihre Lippen schmecken nach Wut und altem Schmerz, die Zunge wild und unnachgiebig. Er saugt sie auf, verliert sich in Hitze und Trotz, seine Hand verheddert sich in ihrem Haar, während sie sich zu ihm wölbt, verzweifelt nach Reibung suchend, die Welt hinter diesen vier Glaswänden vergessend. Ihre Nägel graben sichelförmige Spuren in seine Schulter, ziehen ihn tiefer. Für einen schwindelerregenden, endlosen Moment zählt nichts außer der Elektrizität zwischen ihnen und dem Schmerz, gesehen zu werden.

Sie ist die Erste, die sich löst, der Hals entblößt, die Wangen glühen, der Atem stolpert, während sie sich am Schreibtischrand abstützt. Ein zitterndes Lachen entweicht ihr, an den Rändern brüchig. Callen sucht ihr Gesicht, hofft auf Weichheit – doch ihre Mauern errichten sich in Sekunden neu.

„Du willst immer zu viel,“ flüstert sie, die Stimme brüchig.

Er richtet sich auf, fährt sich mit zitternden Händen durchs Haar, Verletzlichkeit schimmert durch. „Du bringst mich dazu,“ sagt er leiser, als er beabsichtigt.

Rysas Blick verweilt, dunkel und stürmisch, bevor sie an ihm vorbeigeht – ihre Finger streifen flüchtig sein Handgelenk, eine Entschuldigung, eine Warnung. Mit zitternden Händen sammelt sie ihre verstreuten Papiere ein, zu vorsichtig, zu kontrolliert, als wäre nichts geschehen. Callen sieht ihr nach, Scham und Verlangen kämpfen in seiner Brust.

Später, im Schweigen vor der Morgendämmerung, findet er sie allein am Automaten, den Blazer gegen einen Hoodie getauscht, der Kiefer fest vor Entschlossenheit. Ein Hauch von letzter Nacht liegt in ihrem abgewandten Blick, in der Rissigkeit ihrer Stimme, als sie sagt: „Das können wir nicht nochmal machen, Callen.“ Er versucht zu sprechen, sie zu erreichen, doch sie zuckt zusammen – dreht sich weg, gehüllt im kalten Licht, lässt ihn mit seinen Reuegefühlen zurück.

Das Morgengrauen flutet durch die Lobbyfenster, während Rysa in ihr Auto steigt, die Hände fest um das Lenkrad geklammert, die Schultern zittern – stille Tränen laufen über ihre Wangen. Einen Moment lang lässt sie sich fallen, dann wischt sie sich das Gesicht, richtet sich mit aller Kraft wieder auf. Ihr Handy vibriert. Anonymer Absender. Die Nachricht ist simpel: „Du hast ihn nicht beschützt. Was lässt du als Nächstes zu?“ Rysas Finger verkrampfen sich. Die Wunde alten Verlusts reißt auf, roh und hungrig.

Sie atmet tief ein, zwingt sich zu einem Lächeln im Rückspiegel, rüstet sich für den Tag – einen Tag voller neuer Gesichter und vielleicht neuer Bedrohungen. Hinter ihr steigt die Sonne auf, kalt und gefühllos.

Fortsetzung folgt...

Axiom der Sehnsucht

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Axiom der Sehnsucht: Fesselnde Liebesroman-Serie